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03.10.2023 08:30

Die südkoreanische K-Pop-Industrie ist im Wandel. Die KI hat ihren Weg in die weltweit beliebte Musikrichtung gefunden. Die virtuellen Idole scheinen wie geschaffen für den Perfektionsdruck in der Branche.

Drei K-Popidole, die von einer KI generiert wurde
Diese drei K-Popidole existieren nicht, sehen aber dank KI täuschend echt aus – Public Domain generiert mit Midjourney / Prompt: „Ai K-pop group“

Südkoreanische Popmusik, kurz K-Pop, ist ein Milliardenmarkt. Die Mischung aus Pop, Hiphop und Rap, meist in reinen Girl- oder Boy-Bands performt, begeistert viele. Die K-Pop-Stars, sogenannte Idols, beginnen meist schon sehr früh mit dem Training für ihre Karriere. Im Alter zwischen 7 bis 13 Jahren werden sie in Talentagenturen unter strengen Bedingungen ausgebildet, Tanz und Gesangstraining nehmen im Regelfall 12 Stunden am Tag ein.

Das Aussehen spielt eine wichtige Rolle. Das Gewicht der Trainees, die ein Idol werden wollen, wird oft von den Agenturen kontrolliert. Auch von Schönheitsoperationen haben einige Trainees berichtet. Bis sie schließlich für Gruppen ausgewählt werden und debütierten dürfen, können viele Jahre vergehen. Die Kosten für die ganze Ausbildung tragen meist die Agenturen – eine auf Dauer kost­spie­lige Sache.

Ein vermeintlicher Ausweg aus dem Perfektionsdruck: Künstliche Intelligenz. In den letzten Jahren gab es mehrere Versuche, bei denen sich KI mit menschlichen K-Pop-Gruppen vermischt. Allen voran mit Adam, einem virtuellen K-Pop-Sänger von Adamsoft, der als erstes virtuelles Idol aus Südkorea bezeichnet werden kann. Der große Erfolg blieb für Adam jedoch aus und beschränkte sich auf zwei Singles.

Eine Gruppe aus Computerspiel-Figuren

Die erste virtuelle K-Pop-Gruppe, die großen Erfolg feierte, war K/DA. Sie hatte 2018 ihr Debüt bei der Eröffnungsshow zu der Weltmeisterschaft des Computerspiels League of Legends. Die Gruppe besteht aus vier Sängerinnen, die alle eigene erfolgreiche Musikkarrieren haben. Zwei von ihnen sind aus US-Amerika, zwei sind Mitglieder der erfolgreichen K-Pop-Gruppe (G)I-dle. Alle vier werden durch einen Videospiel-Charakter verkörpert. Während man in den Musikvideos ausschließlich die 3D-Modelle der Charaktere sieht, treten auf der Bühne noch gleichzeitig die realen Personen auf.

Eine Mischung aus realen Personen und virtuellen Idols bietet aespa, eine achtköpfige Mädchengruppe. Vier der Idols sind Menschen, die anderen vier gehören zu æ-aespa und sind nur in der virtuellen Welt zu sehen. Diese vier 3D-Charaktere wurden mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt, gefüttert mit den Daten der vier menschlichen Mitglieder. In den Musikvideos wechseln sich virtuelle und menschliche Gruppenmitglieder ab, beide Teile geben Interviews, Fans können auch mit den virtuellen Mitgliedern online interagieren.

Noch virtueller ist die Gruppe Eternity der Firma Pulse9, die 2021 ihr Debüt feierte. Pulse9 entwickelte schon länger Deepfake-Technologien, die das Unternehmen nun für seine elfköpfige K-Pop-Gruppe nutzt. Bei einer Challenge durften die Fans abstimmen, welche von vielen KI-generierten Gesichter sie am besten finden. Diese Gesichter werden mithilfe einer Deepfake-KI auf die Gesichter der weiblichen Bandmitglieder montiert. Die eigentlichen Menschen sind nicht mehr sichtbar.

Menschlicher als ein Mensch?

Bei ihrem ersten Musikvideo I’m Real sieht man denn Gebrauch der Technik noch ganz deutlich. Das merken auch die Fans in den Kommentaren immer wieder an. Doch die Firma verbesserte ihre Technik stetig und in den neuen Musikvideos ist es kaum bis gar nicht mehr zu erkennen – was die Fans auch lobend in den Kommentaren anmerken. Park Jieun, die Frau hinter der Gruppe, sagte zu der halb-virtuellen Girl-Band:

Virtuelle Charaktere können perfekt sein. Aber sie können auch menschlicher sein als Menschen.

An der Spitze der virtuellen K-Pop-Gruppen steht Mave. 2023 von Metaverse Entertainment ins Leben gerufen, handelt es sich hier um eine vierköpfige Mädchengruppe. Diese sind bis auf die Stimmen komplett am Computer erstellt. Die 3D-Modelle wurden mithilfe der Unreal Engine ins Leben gerufen, einer Software, die häufig zur Spieleentwicklung genutzt wird. Um Emotionen feiner und menschlicher wirken zu lassen, kann außerdem MetaHuman zum Einsatz – ein Tool der Engine, um digitale Menschen möglichst lebensecht zu erstellen.

Ganz eigenständig Tanzen und Singen können die virtuellen Idols noch nicht. Die Bewegungen stammen von Tänzer:innen in speziellen Anzügen, mithilfe derer die Choreografien auf die Modelle übertragen werden. So konnte die Gruppe sogar schon im Fernsehen auftreten.

Virtuelle Idols machen weniger Probleme

Agenturen sind von den ersten Ansätzen der KI-Idols begeistert. Viele sprechen davon, dass die virtuellen Idols weniger anfällig für Probleme sind. Die Idols widersprechen auch nicht, was in Hinsicht auf Werbung vieles erleichtert. Obendrein brauchen sie weder Pausen noch intensives Training. Um Liebesbeziehungen, die für K-Pop-Idols meist vertraglich verboten sind, müssen sich die Agenturen auch nicht mehr kümmern.

Aber auch für die Idols, die noch hinter ihren Figuren stehen, haben die KI-Charaktere Vorteile. Eine virtuelle Version seiner selbst kann einige Aufgaben übernehmen, etwa in sozialen Medien kann das ziemlich viel Druck nehmen. Jedoch machen sich einige K-Pop-Idols auch Sorgen um ihren Job. Denn es ist offensichtlich, dass virtuelle Idols weniger Arbeit und weniger Kosten verursachen als echte Menschen. So sagte Han Yewon, Lead-Sängerin der K-Pop-Gruppe mimiirose:

Die Technologie hat sich in letzter Zeit deutlich verbessert. Ich befürchte, dass virtuelle Charaktere den menschlichen Idols den Platz streitig machen werden.

Noch brauchen sich die Idols darum aber nicht sorgen, denn im K-Pop ist alles von den Fans abhängig. K-Pop setzt auf eine sehr enge Bindung durch viel Kommunikation über soziale Medien oder Fanartikel. Auch Fan-Treffen und Auftritte spielen dabei eine große Rolle. Die Fans geben dafür viel Geld aus, regelmäßig werden Rekorde gebrochen, was die Ticketpreise bei Konzerten angeht. Bei einer Tour der Jungengruppe BTS kosteten Tickets teils vierstellige Dollar-Beträge auf dem Wiederverkaufsmarkt. Die Tour war komplett ausverkauft.

Beliebte Perfektion

Beliebt sind die Stars, wenn sie möglichst perfekt sind: jung, hübsch und fehlerfrei. Schlechte Laune wird nicht gern gesehen. Was allzu menschlich ist, stört. Man dürfte also meinen, Fans regieren eigentlich nur positiv auf die perfekten virtuellen Idols. Doch Jeong Yu, Kinder- und Jugendpsychiater, sieht darin ein Problem:

Das wahre Problem daran ist, dass wir einander nicht auf authentische Weise wahrnehmen.

Virtuelle Idols, egal wie menschenähnlich sie in Zukunft aussehen, werden wohl nie in Interviews über ihre Probleme berichten. Sie brauchen keine Diäten, um die Schönheitsstandards im K-Pop zu erfüllen. Hasskommentare im Internet lassen sie kalt. Da, wo es mit echten Menschen schwierig wird, ist es mit virtuellen Idols leicht. Die Probleme kommen da, wo Menschen den Idols nacheifern.

Viele der K-Pop-Fans sind jung und haben bereits mit Schönheitsstandards zu kämpfen, die auch im K-Pop vermittelt werden. Das fällt leichter, wenn es ihren Idols genauso geht. Wenn diese aber nicht real sind und nie mit diesen Problemen zu kämpfen haben, steigt der Druck, auch selbst perfekt zu sein, wie ein realer Mensch es nie könnte.


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02.10.2023 18:15

Das Europäische Parlament will am Dienstag seine Position zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz beschließen. Der Vorschlag enthält auch neue Vorgaben zum Verhältnis von Online-Plattformen und Medien. Es ist nicht der einzige Streitpunkt zwischen Parlament und Mitgliedstaaten, es geht auch um das staatliche Hacken.

Der Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg
Das EU-Parlament beschließt am 3. Oktober seine Position zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (Symbolbild). – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panama Pictures

Orban, Kaczyński, Zuckerberg, Musk. Diese ungewöhnliche Quadriga wird die morgige Abstimmung im EU-Parlament zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) vermutlich genau verfolgen. Denn die Verordnung enthält neben Pflichten für die EU-Staaten auch neue Vorgaben für sehr große Online-Plattformen. Das ist aber nicht der einzige zu erwartende Streitpunkt in den anstehenden Verhandlungen zwischen Parlament, Mitgliedstaaten und EU-Kommission.

Vor etwa einem Jahr hat die EU-Kommission den EMFA vorgeschlagen. Er soll die Pressefreiheit in der EU schützen – einerseits vor Staaten wie Ungarn, Polen und Griechenland, wo kritische Journalist*innen aus staatlich finanzierten Medien behindert oder gleich mit Staatstrojanern überwacht werden. Andererseits sollen journalistische Beiträge auch vor der Willkür von Facebook und Co. geschützt werden. Hier macht der morgen abzustimmende Vorschlag aus den Parlamentsausschüssen einen weitreichenden Vorschlag: Plattformen sollen journalistische Inhalte nicht mehr einfach einschränken oder entfernen können.

Sonderstatus: Anerkanntes Medium

Nach Artikel 17 des Vorschlags bekommen Medienanbieter auf sehr großen Online-Plattformen, den sogenannten VLOPs, eine Art Sonderstatus. Dafür müssen sie unter anderem erklären, dass sie unabhängig von Regierungen sowie Parteien sind und generative KI nur mit redaktioneller Aufsicht einsetzen. Falls die VLOPs einem Medium diesen Status nicht zugestehen, entscheidet die nationale Medienaufsicht oder ein Selbstregulierungsgremium wie der deutsche Presserat.

Will nun etwa Facebook oder Twitter (jetzt X) den Inhalt eines solchen anerkannten Medienanbieters einschränken, muss die Plattform diesen 24 Stunden vor der Löschung informieren und die Einschränkung explizit mit der entsprechenden Stelle seiner AGBs begründen. Legt der Medienanbieter Einspruch ein, entscheidet wieder die zuständige nationale Aufsicht. Petra Kammerevert (SPD), die den Entwurf mitverhandelt hat, sagt dazu auf Anfrage von netzpolitik.org: „Meiner Meinung nach darf es nicht eine Online-Plattform wie Facebook oder Twitter sein, die letztlich darüber entscheidet, welche Medien Menschen in der EU sehen dürfen und welche nicht.“

„Nicht mit weniger zufrieden geben“

Mit seiner Position zu Artikel 17 geht das Parlament deutlich weiter als der Ministerrat der EU. In diesem sind die Mitgliedstaaten vertreten. Die Position des Ministerrats sieht zwar ebenfalls vor, dass die VLOPs Medienanbieter über die geplante Löschung ihres Inhalts informieren, belässt die letzte Entscheidung aber bei den Plattformen selbst.

Der Deutsche Journalistenverband DJV kritisiert beide Vorschläge. Am ehesten sei noch der Entwurf des Kultur-Ausschusses des Parlaments mit der Presse- und Rundfunkfreiheit vereinbar. Im Vergleich zum Ratsentwurf und zum Kommissionsentwurf gewähre dieser den weitestgehenden Schutz, schreibt der DJV in einer Stellungnahme. „Allerdings darf auch hier die VLOP journalistische Inhalte erst einmal wegen AGB-Verstößen beschränken oder sperren. Der Mediendiensteanbieter trägt außerdem die Beweislast, und man fragt sich, wie dieser Beweis zu erbringen sein soll.“

Mehrere europäische Medienverbände zeigten sich in einem offenen Brief zufriedener mit dem Vorschlag aus dem Parlament. Dieser verschaffe Medienanbietern zumindest grundlegende Schutzvorkehrungen vor willkürlicher Einflussnahme durch die VLOPs. Die Organisationen, darunter der European Publishers Council und die European Federation of Journalists warnen aber: „Das Europäische Parlament darf sich nicht mit weniger zufrieden geben, weder im Plenum noch im Trilog.“

Letzterer kann direkt nach einer Einigung im Parlamentsplenum starten. In einem Trilog verhandeln die zuständigen Personen aus Rat, Parlament und Kommission über den finalen Text. Neben den unterschiedlichen Vorstellungen zu Plattformregulierung sind jetzt schon weitere Streitpunkte absehbar.

Staatstrojaner gegen Journalist*innen

Der größte Brocken in den Verhandlungen dürfte das Hacken von Journalist*innen sein. Eigentlich sollte das Europäische Medienfreiheitsgesetz Journalist*innen vor staatlicher Überwachung schützen, auch damit die Kommunikation mit Hinweisgeber*innen nicht abgehört werden kann. Dass strengere Regeln hier bitter notwendig sind, zeigte sich vor allem durch die Erkenntnisse rund um Pegasus und Predator. Mit den beiden Staatstrojanern haben Behörden unter anderem in Ungarn und Griechenland Journalist*innen ausspioniert.

Die EU-Staaten wollen sich beim Hacken von Journalist*innen jedoch nicht reinreden lassen. Frankreich wollte in den Verhandlungen im Ministerrat zuerst eine generelle Ausnahme für das Hacken und Überwachen von Journalist*innen aus Gründen der „nationalen Sicherheit“. Letztlich schaffte es die Formulierung eines „übergeordneten öffentlichen Interesses“ in den aktuellen Ratsvorschlag. Ein solche Formulierung gilt bereits in Frankreich und wird dort stark kritisiert, etwa als vor kurzem der französische Inlandsgeheimdienst die Wohnung und Geräte einer französischen Investigativjournalistin durchsuchte.

Absoluter Schutz oder Blankoscheck?

Auch das Parlament schließt das Hacken von Journalist*innen nicht aus. Allerdings setzt es Durchsuchungen und Staatstrojanern strengere Grenzen. Solche Maßnahmen seien nur zulässig, wenn sie nicht im Zusammenhang mit der Arbeit eines Medienanbieters stünden und „nicht im Zugang zu journalistischen Quellen resultieren“. Laut Kammerevert sei das ein sehr guter Kompromiss. „Und diesen gilt es nach der Plenarabstimmung mit aller Kraft in den Verhandlungen mit dem Rat zu verteidigen.“

Ursprünglich hätten sie und die sozialdemokratische Fraktion einen absoluten Schutz journalistischer Quellen vorgeschlagen. „Im für diesen Textteil zuständigen Innenausschuss haben vor allem die Konservativen vehement versucht, den Schutz zu verwässern.“ Die CDU-Abgeordnete Sabine Verheyen, Berichterstatterin für den EMFA, sagte auf einer Pressekonferenz zu dem Parlamentskompromiss: „Wir können nicht jedem Individuum, was journalistische Arbeit macht, einen Blankoscheck in allen Lebenslagen und Situationen bezüglich Rechtsstaatlichkeit ausfüllen.“ Sie verweist vor allem auf den Richtervorbehalt, der beim Ausspähen und Durchsuchen von Journalist*innen immer greife.

Über 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen geht dieser Schutz allerdings nicht weit genug. Sie fordern ein bedingungsloses Verbot des Einsatzes von Spionagesoftware gegen Journalist*innen. „Spyware ist ein mächtiges Werkzeug, das die journalistische Arbeit, die Meinungsfreiheit und letztlich die demokratischen Werte gefährdet. Die Fähigkeit von Spyware, auf alle Daten zuzugreifen und die volle Kontrolle über ein Gerät zu übernehmen, kann technisch nicht eingeschränkt werden“, warnen die Unterzeichner*innen, darunter European Digital Rights, der Chaos Computer Club und viele weitere Organisationen. Sei das Gerät eines Journalisten einmal infiziert, würde die Behörden nichts davon abhalten, Daten abzugreifen, die im Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit stehen.

Weiterer Knackpunkt: Öffentlicher Rundfunk

Als weiterer Streitpunkt im Trilog werden auch immer wieder die Gesetzespassagen zum öffentlichen Rundfunk genannt. Auch für diesen schreibt der EMFA neue Regeln vor. Einig ist man sich beispielsweise, dass die Ernennung und Abberufung der obersten Führungsebene transparent und gesetzmäßig erfolgen müssen. Darüber hinaus fordert das EU-Parlament unabhängige Strukturen, die auf nationaler Ebene den Finanzbedarf des öffentlichen Rundfunks feststellen. Das soll anhand transparenter, unparteiischer, objektiver und gesetzlich festgeschriebener Regeln geschehen. Dies entspräche in Deutschland der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Eigentlich liegt der öffentlich Rundfunk in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten, so haben diese es im sogenannten Amsterdamer Protokoll von 1997 festgehalten. Die Sorge vor einer Kompetenzüberschreitung der EU begleitet den EMFA von Anfang an. Die deutschen Bundesländer hatten etwa im letzten Dezember gerügt, dass der Vorschlag der Kommission nicht dem Subsidiaritätsprinzip entspreche.

Ambitionierter Zeitplan

Trotz der vielen offenen Punkte haben sich Rat und Parlament einen ambitionierten Zeitplan gesteckt. Laut Sabine Verheyen (CDU) peile die spanische Ratspräsidentschaft die Finalisierung beim Trilog Ende November an, die EU-Abgeordnete selbst sprach von Februar als Deadline.

Die Eile hat auch mit dem politischen Kalender des nächsten Jahres zu tun. Im Juni wird ein neues Parlament gewählt, die politischen Mehrheiten könnten danach wieder ganz anders liegen. Zudem übernimmt im Juli 2024 Ungarn die Ratspräsidentschaft, danach ist Polen dran. Von beiden Ländern ist wenig Engagement für Pressefreiheit zu erwarten. Sie gelten als Begründung, warum es den EMFA überhaupt braucht.


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02.10.2023 12:36

Auf der ganzen Welt fahren Regierungen gemeinsam mit KI-Unternehmen einen Angriff auf das Recht auf Privatsphäre. Die Gefahr eines Dammbruchs durch die Chatkontrolle ist nicht hypothetisch, warnte Signal-Chefin Meredith Whittaker in Brüssel. Wir veröffentlichen ihre Rede als Gastkommentar.

Hand hält ein Smartphone, auf dem ein digitales Auge zu sehen ist.
Die Chatkontrolle würde das Ende sicherer und vertraulicher Kommunikation bedeuten. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Wie Sie wissen, befinden wir uns inmitten eines Sturms globaler Angriffe auf das Menschenrecht auf Privatsphäre – mit Regierungen, Sicherheitsdiensten, NGOs, die gleichzeitig KI-Firmen sind und die mit viel Geld und wenig Transparenz daran arbeiten, die wenigen sicheren Häfen zu verdrängen, die wir uns gegen das grausame Überwachungsgeschäftsmodell und die Staaten, die davon profitieren, geschaffen haben.

Ich bin seit fast zwanzig Jahren in der Technologiebranche tätig und habe mich immer wieder mit Fragen des Datenschutzes befasst. Ich habe viele Angriffe von Regierungen auf die Verschlüsselung beobachtet. Aber ich habe noch nie etwas gesehen, das so vorsätzlich irreführend war wie die Kampagne, die ich jetzt sehe.

Das Beispiel Großbritannien alarmiert

Ich komme gerade aus dem Vereinigten Königreich, das an der Spitze der Kampagne gegen Verschlüsselung und das Recht auf Privatsphäre steht. Was ich dort gesehen habe, ist alarmierend. Anti-Intellektualismus und Propaganda bestimmen sowohl die populäre als auch einen Großteil der sogenannten Expertendiskussion. Ein Hauch von Hysterie und Bedrohung liegt über jedem Versuch, eine sinnvolle Diskussion zu führen – einschließlich der Diskussion über bewährte Ansätze zur Unterstützung von Kindern, die sich von der Fixierung auf die Online-Überwachung unterscheiden. Es wird beängstigend und schwierig, die Menschenrechte zu verteidigen, wenn der Eindruck entsteht, dass man damit Dämonen und Monster verteidigt. Unter diesen harten Bedingungen war eine demokratische Beratung über diesen unglaublich schwerwiegenden Verstoß gegen Rechte kaum möglich. Und ich glaube nicht, dass dies ein Zufall war.

Dieser Hauch von Hysterie verdeckt die unangenehme Tatsache, dass die Technologie für das, was sie vorschreiben wollen, in keiner praktikablen Form existiert. Entgegen den Behauptungen der Organisationen, die sie vermarkten, ist es nicht möglich, die Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation aller sicher und privat zu scannen, um verbotene Äußerungen zu kennzeichnen. Das Gegenteil zu behaupten, ist magisches Denken.

Aber selbst unter diesen Bedingungen haben sich viele im Vereinigten Königreich zu Wort gemeldet. Die Menschenrechtsgemeinschaft, die akademische Expertengemeinschaft, Bürgerrechtsorganisationen und viele andere im Vereinigten Königreich haben sich im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes zu Wort gemeldet.

Amnesty machte deutlich, dass ihre weltweite Arbeit durch jede Maßnahme zur Untergrabung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gefährdet würde. Da die Kommunikation nicht innerhalb einer bestimmten Gerichtsbarkeit stattfindet, wären auch die verletzlichen Menschen, die unter autoritärer Überwachung leben und mit denen Amnesty kommuniziert, in Gefahr, ihrer Privatsphäre beraubt und bloßgestellt zu werden.

Stonewall, eine Organisation, die sich für LGBTQ einsetzt, äußerte sich ähnlich und verwies auf ihre globale Arbeit und die 64 Länder, in denen eine LGBTQ-Identität kriminalisiert wird. Und viele, die mit der Ukraine vertraut sind äußerten sich ähnlich besorgt. Die dortige Regierung nutzt den Messenger Signal als zentrale Kommunikationsinfrastruktur.

„Künstliche Intelligenz ist vor allem ein Marketinghype“

Werkzeuge ungeeignet für den Zweck

Ein ganzer Chor von Expert:innen sprach auch über den falschen Marketing- und KI-Hype, auf dem die Annahmen des Gesetzentwurfs beruhen. Das unabhängige Forschungszentrum REPHRAIN, das von der britischen Regierung beauftragt wurde, Prototypen von KI-Scannern zu prüfen, die für eine solche Verwendung vorgeschlagen wurden, erklärte auf höchst unorthodoxe Weise, dass diese Werkzeuge für den Zweck nicht geeignet seien, und schloss sich damit einem langjährigen Expertenkonsens an.

Selbst das Billionen-Dollar-Unternehmen Apple Inc., das im Jahr 2021 kurzzeitig ein Client-Side-Scanning für verschlüsselte Daten einsetzte, bevor sich herausstellte, dass sein System schwerwiegende Schwachstellen aufwies, erklärte öffentlich, dass sie erkannt hätten, dass es schlicht nicht möglich sei, ein solches System zu bauen, das sowohl privat als auch sicher sei. Am Ende des Prozesses sah sich sogar die britische Regierung selbst gezwungen einzuräumen, dass es keine Technologie gibt, mit der die Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation sicher und vertraulich gescannt werden kann.

Erschreckend war für mich, dass der Gesetzesentwurf trotz dieser Feststellung der britischen Regierung vorangetrieben wurde. Mehrere Personen, mit denen ich in der Regierung gesprochen habe, winkten einfach ab – die politische Trägheit würde ungeachtet der Gefahren, des Schadens und der Torheit weitergehen, sagten sie und schauten in die Ferne. Man sagte uns, das Innenministerium wolle dieses Gesetz und die damit verbundene Macht, die Verschlüsselung zu untergraben. Selbst nachdem der Vorwand erodierte und die Behauptungen bis zur Unkenntlichkeit überprüft wurden, wurde das Gesetz weiter auf den Weg gebracht. Und auf diesem Weg wurden ernsthafte Risse in den demokratischen Grundlagen des Vereinigten Königreichs sichtbar.

Die EU kann das stoppen

Die EU hat die Chance, diese Flut zu stoppen und sich von der Absurdität abzuwenden, die die Situation im Vereinigten Königreich bestimmt hat. Wenn sie das nicht tut, weiß ich nicht, was wir tun sollen, denn die Zustimmung der EU zu einem so tiefgreifenden Rückschritt bei den Menschenrechten – und einer so bedeutenden Unterstützung der Überwachung im Stil von Big Tech – würde allen anderen die Tür öffnen.

Ich komme nicht aus einem Land, in dem wir unseren Institutionen so unbesorgt vertrauen können wie hier. In den USA sitzen jetzt eine Frau namens Jessica Burgess und ihre Tochter im Gefängnis. Sie wurden zu einer Straftat verurteilt, weil sie im Bundesstaat Nebraska eine kriminalisierte reproduktionsmedizinische Versorgung in Anspruch genommen haben. Facebook-Nachrichten, die von dem Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden, waren ein wichtiges Beweismittel für die Verurteilung von Jessica und ihrer Tochter.

Eine Welle von Bücherverboten schwappt weiterhin über viele US-Bundesstaaten, während ein Gesetz in Florida vorschlägt, dass Journalist:innen, die über Lokalpolitik berichtet, sich beim Staat registrieren müssen. Und Senatorin Marsha Blackburn schlug vor kurzem vor, dass eine ähnliche Überprüfung wie in der EU auf LGBTQ+-Inhalte ausgedehnt werden sollte. Die Gefahr einer schiefen Ebene ist für mich nicht hypothetisch.

Damit soll nicht gesagt werden, dass die EU ihren Institutionen völlig vertrauen sollte. Überall, wo diese Gesetze durchgesetzt werden, gibt es viele interessierte Technologieunternehmen (von denen sich einige als Nichtregierungsorganisationen ausgeben) und Regierungsstellen, die es kaum erwarten können, ihre Gewinne und/oder ihre Macht auszuweiten. Jüngsten Enthüllungsberichten zufolge plädiert EUROPOL gegenüber der EU-Kommission bereits für eine Ausweitung des Scannens, da es „andere Kriminalitätsbereiche gibt, die von einer Aufdeckung profitieren würden“. Den Sitzungsprotokollen zufolge reagierten die Kommissar:innen nicht mit Entsetzen, sondern mit strategischer Vorsicht und wiesen EUROPOL darauf hin, dass es „angesichts der vielen sensiblen Aspekte des Vorschlags realistisch sein muss, was zu erwarten ist.“

Behauptungen ohne Beweise

Wenn institutionelle Vorsicht im Zusammenhang mit der Regierung gerechtfertigt ist, dann ist Misstrauen gegenüber den Unternehmen, die mit dem Hype um KI als Mittel zum Schutz von Kindern hausieren gehen, geradezu erforderlich. Es ist zutiefst ironisch, dass dieselbe Regierung, die mit dem KI-Gesetz und dem Digital Markets Act (DMA) auf eine sinnvolle Regulierung der KI drängt, auch auf einen unbegründeten KI-Hype hereinfällt, wenn es um Kinder geht. Und ja, KI-Hype ist die treffendste Beschreibung des Marketings und der unbegründeten Behauptungen, die über das clientseitige Scannen für verschlüsselte Kommunikation aufgestellt werden.

Erst letzte Woche veranstalteten das KI-Unternehmen und die Nichtregierungsorganisation Thorn ein Webinar, um EU-Politiker:innen KI-Technologien zur Untergrabung von Verschlüsselung schmackhaft zu machen, wobei eine ganze Sitzung den CEOs von KI-Unternehmen gewidmet war, um „Lösungen zur Erkennung in Ende-zu-Ende-verschlüsselten Umgebungen“ zu diskutieren. Da dies als eine Intervention zum Schutz von Kindern dargestellt wurde, wird es nicht mit der Skepsis behandelt, die den meisten anderen Lobbyaktivitäten im Bereich Technik sonst entgegengebracht wird. DragonFlAI, eines der Unternehmen, die eingeladen wurden, ihre Technologie in dem Webinar zu vermarkten, steht in Verbindung mit dem Biometrie-Riesen Yoti.

DragonFlAI behauptete – ohne Beweise zu liefern – dass ihre Technologie es ermöglicht, „Nacktheit und Alter zusammen in e2ee zu erkennen“. Aber auch hier gilt: Es gibt keine Technologie, die das kann. Die Technologie, die entwickelt wurde – einschließlich der Produkte von DragonFlAI – wurde als nicht praktikabel, fehlerbehaftet und letztlich als unsicher und die Privatsphäre verletzend kritisiert. 

Die Unternehmen, die mit diesen Diensten hausieren gehen, verkaufen technische Lösungen für soziale Probleme (und bieten den Sicherheitsdiensten dabei eine verdeckte Hintertür zu verschlüsselter Kommunikation). Sie setzen Millionen von Dollar ein, um den politischen Prozess in einem alarmierenden Ausmaß zu beeinflussen, und im Falle der EU sind einige Regierungsmitglieder laut jüngsten Berichten bereitwillige Teilnehmer, die mit diesen Unternehmen und ihren Netzwerken auf höchst widersprüchliche Weise zusammenarbeiten.

Man kann es noch so oft sagen – KI hat kein Bewusstsein, sie ist nicht übermenschlich, und KI-gestütztes Scannen kann nicht gleichzeitig den Datenschutz und die Sicherheit gewährleisten und die gesamte private Kommunikation überwachen. Es ist die Aufgabe der Regulierungsbehörden, dies zu verstehen.

„Wir würden lieber gehen“

Da sich der Rauch lichtet und der finanzielle Einfluss derjenigen, die die Verschlüsselung aus Profit- und Machtgründen untergraben wollen, immer deutlicher wird, bin ich vorsichtig optimistisch, dass die EU der Ort sein kann, an dem diese Angriffswelle aufhört. Denn wenn diese Welle der Gesetzgebung über das Vereinigte Königreich hinaus greift, ist es nicht klar, ob Signal überleben könnte. Genauso wie sich unser Engagement, ein Werkzeug für sinnvolle private Kommunikation bereitzustellen, nicht je nach Region ändert, ändert sich auch unsere Position zu dieser Gesetzgebung nicht. Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen, was bedeutet, dass wir uns ganz auf unsere Prinzipien und unsere Mission konzentrieren können, ohne dass uns Aktionäre oder Risikokapitalgeber:innen zu Kompromissen zwingen.

Wie im Vereinigten Königreich, wie im Iran, wie überall: Wir werden weiterhin alles in unserer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass die Menschen in der Europäischen Union Zugang zu Signal und zur privaten Kommunikation haben. Aber wir werden die Datenschutz- und Sicherheitsverpflichtungen, die wir den Menschen in der EU und überall sonst auf der Welt gegenüber eingegangen sind, nicht untergraben oder gefährden. Wir werden niemals eine Hintertür einbauen oder auf andere Weise die Verschlüsselung untergraben, die die Sicherheit der Menschen gewährleistet, die Signal nutzen. Wir würden lieber gehen als das zu tun.

Der vorliegende Text ist der Vortrag, den Meredith Whittaker am 23. September auf einer Presseveranstaltung zu Verschlüsselung und Überwachung in Brüssel gehalten hat. Wir haben den Text leicht gekürzt. Eingeladen hatte EDRi, ein Zusammenschluss von Bürgerrechtsorganisationen, die sich dem Datenschutz und den digitalen Freiheitsrechten verschrieben haben.


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02.10.2023 11:44

Vor ziemlich genau sieben Jahren ist bei netzpolitik.org der erste Eintrag in der Reihe „Neues aus dem Fernsehrat“ erschienen. 100 Folgen später bietet es sich an, zentrale und weniger wichtige Erkenntnisse dieser Reihe Revue passieren zu lassen – in Form von 50 Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnissen.

Leonhard Dobusch zwischen Mainzelmännchen
Unter Mainzelmännchen CC-BY 4.0 Leonhard Dobusch

Die Serie „Neues aus dem Fernsehrat“ beleuchtet seit 2016 die digitale Transformation öffentlich-rechtlicher Medien. Hier entlang zu allen Beiträgen der Reihe.

Statistik Themenschwerpunkte Neues aus dem Fernsehrat
Themen der bisherigen Blogeinträge in der Reihe „Neues aus dem Fernsehrat“ - CC-BY 4.0 Leonhard Dobusch

Wie schon nach den ersten 50 Folgen in der Reihe war auch die 100. Jubiläumsfolge Anlass für mich, einen Blick zurück zu werfen. Am öftesten ging es demnach um Themen wie öffentlich-rechtliche Plattformen, Transparenz der Rundfunkaufsicht und freie Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte (sie Abbildung).

Diese Themen dominieren auch die folgende, nur lose strukturierte Liste mit 50 Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnissen, die ich in diesen Jahren des Fernsehrat-Bloggens – oft gemeinsam mit Interviewpartner:innen und Mitautor:innen – gewonnen habe.

  1. Mehr Transparenz ist machbar. In der allerersten Folge der Reihe „Neues aus dem Fernsehrat“ ging es um fehlende Transparenz, nach 100 Folgen darf es als gesicherte Erkenntnis gelten: Es schadet weder der Qualität noch der Effizienz der Aufsicht, wenn Rundfunkgremien über das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß an Transparenz hinausgehen.
  2. Ein Livestream von Plenarsitzungen hat kaum Folgen für den Sitzungsablauf oder das (Diskussions-)Verhalten. Die Ängste, dass es bei einem Livestream viel mehr zu großspurigen Show-Gefechten kommen könnte, hat sich nicht bewahrheitet.
  3. Rundfunkaufsicht ist größtenteils Schwarzbrot und wird nie die breite Öffentlichkeit interessieren. Aber die interessierte Teilöffentlichkeit ist groß genug, dass es den Aufwand für Livestreams rechtfertigt. Bei normalen Fernsehrat-Sitzungen schauen zwischen 150 und 300 Menschen im Livestream zu, bei der Intendant:innenwahl waren es sogar über 12.000.
  4. Newsletter sind ein niedrigschwelliges Transparenztool. Gemeinsam mit der Einführung von Livestreams von Fernsehratssitzungen wurde ein „#Fernsehrat-Newsletter“ zur Vor- und Nachberichterstattung eingeführt. Inzwischen verzeichnet dieser Newsletter über 4.700 Abonnent:innen, ein durchaus relevantes Interesse einer interessierten Teilöffentlichkeit.
  5. Auch im ZDF ginge noch mehr Transparenz. Der derzeit diskutierte Entwurf für den 4. Medienänderungssstaatsvertrag orientiert sich im Bereich Transparenz- und Compliance-Regeln stark an den Bestimmungen im ZDF-Staatsvertrag. Und im ZDF gefällt man sich (größtenteils zu Recht) in dieser Rolle als Transparenzvorreiter. Gleichzeitig halte ich es immer noch für falsch, dass Vorlagen zu öffentlichen Sitzungen nicht bereits im Vorfeld vollständig online zugänglich sind. Was ich 2020 zu „Vorschlägen für mehr Transparenz in der Geschäftsordnung“ geschrieben habe, gilt unverändert weiterhin.
  6. Transparenz nach Innen braucht andere Instrumente als Transparenz nach Außen. So sehr ich mich für Livestreams und Veröffentlichung von Unterlagen zu öffentlichen Sitzungen einsetze, so bin ich durchaus ein Freund nicht-öffentlicher Ausschusssitzungen. Das erlaubt ein freieres Sprechen und auch einmal saloppe Ansagen und offenere Diskussion, also Transparenz nach innen.
  7. Freie Lizenzen für öffentlich-rechtliche Inhalte sind möglich. Als ich 2016 neu in den Fernsehrat kam, behauptete eine interne Stellungnahme noch, dass bei Creative-Commons-Lizenzen „Aufwand und messbarer Ertrag meist in keinem Verhältnis zueinander stehen“. Warum sich das geändert hat und inzwischen freie Lizenzen in ZDF und ARD angekommen sind, habe ich in Folge 94 rekapituliert.
  8. Kompatibilität mit Wikipedia ist entscheidend: Creative-Commons-Lizenzen, die nicht mit Wikipedia kompatibel sind (z.B. weil sie kommerzielle Nutzung ausschließen), bedeuten ähnlich großen Aufwand wie freiere Lizenzen, bringen aber kaum Reichweite.
  9. Freie Lizenzen sind die Zukunft, vor allem für Bildungs- und ausgewählte Informationsinhalte. Seit ZDF Terra X mit seinen frei lizenzierten Clips bewiesen hat, dass freie Lizenzen auch in öffentlich-rechtlichen Kontexten machbar und reichweitenstark sind, ist einiges in Bewegung geraten – nicht nur beim ZDF, sondern auch in der ARD.
  10. Freie Lizenzen sind gekommen, um zu bleiben: in Zeiten ständig zunehmender Bedeutung digitaler Verbreitungswege auch jenseits der eigenen Mediatheken wird die Veröffentlichung von Inhalten unter freien Lizenzen gerade im Kernbereich von Information und Bildung immer mehr Bedeutung gewinnen. Auf diese Weise werden solche Inhalte besser gefunden und dem öffentlich-rechtlichen Auftrag besser entsprochen.
  11. Deshalb: ZDF & ARD <3 Wikipedia. (Und das schöne: diese Liebe wird von der Wikipedia erwidert.)
  12. „Telemedien“ ist Rundfunkrechtsdeutsch für Internet.
  13. Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen sind mehr als nur die Mediatheken, sie umfassen auch Angebote auf Drittplattformen.
  14. Wikipedia ist eine Drittplattform. Und zwar die wichtigste und gleichzeitig unterschätzteste Drittplattform für öffentlich-rechtliche Medien. Denn wenn im Fernseh- und Rundfunkräten von Drittplattformen die Rede ist, dann sind damit in der Regel nur die großen, proprietären Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok gemeint.
  15. Apropos Mediatheken: Die müssen social werden. Es ist eine Zumutung, dass Beitragszahler:innen öffentlich-rechtliche Inhalte auf kommerziellen Plattformen wie YouTube suchen müssen, wenn sie sie kommentieren und mit anderen darüber diskutieren wollen.
  16. Das Fediverse ist der Königsweg, um Mediatheken social zu machen.
  17. Erst als Jan Böhmerman mit det.social ins Fediverse vorgeprescht ist, habe ich gelernt, dass die Mainzelmännchen Namen haben. Inzwischen ist das ZDF mit einer offiziellen Instanz unter zdf.social im Fediverse vertreten, genauso wie die ARD mit ard.social. Und wie kürzlich von Seiten des NDR berichtet, sind die Erfahrungen dort durchaus ermutigend.
  18. Die föderale Struktur der öffentlich-rechtlichen Medien passt perfekt zu dezentralen, protokollbasierten Netzwerken wie Mastodon, Peertube und Co. Ausführlich hatte ich über dieses Thema mit Marcel Weiss in dessen Neunetzcast-Podcast diskutiert.
  19. Der Public Spaces Incubator ist deshalb eines der innovativsten und vielversprechendsten Forschungs- und Entwicklungsprojekte in diesem Kontext.
  20. Software für Mediatheken muss Open Source werden. Eigentlich ist das mit dem vorhergehenden Punkt schon gesagt, denn das Fediverse basiert auf offener Software und offenen Protokollen. Eine Fediverse-Integration der Mediatheken bedeutet also automatisch, endlich auf freie Software zu setzen.
  21. Open Source bedeutet automatisch Europäisierung. Schon heute wird im Rahmen der Europäischen Rundfunkunion versucht, bei der Softwareentwicklung zwischen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Anbietern zu kooperieren. Allerdings wird das erst dann funktionieren, wenn es auf einem Open-Source-Modell aufsetzt, weil so keine übermäßigen wechselseitigen Abhängigkeiten entstehen und erprobte Governance-Strukturen.
  22. Freie Lizenzen bedeuten automatisch Europäisierung. Frei lizenzierte Videoclips können ohne Rechteklärung in andere Sprachen übersetzt werden, finden in den verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia Verwendung.
  23. Wer von Europa spricht, darf von Geoblocking nicht schweigen. Diesbezüglich ist interessant, dass es sowohl die EU-rechtliche Grundlage als auch über den Login die technische Grundlage dafür gäbe, Geoblocking umgehbar zu machen. Dafür bräuchte es die Möglichkeit, im Profil die Beitragszahler-ID zu hinterlegen.
  24. Die Zukunft von Europas öffentlich-rechtlichen Medien liegt in einem offenen und dezentralen öffentlich-rechtlichen Ökosystem. Dafür braucht es kein gemeinsames Portal, aber gemeinsame Infrastruktur auf Basis offener Software, Standards und Protokolle. Im Ergebnis können so öffentlich-rechtliche Netzwerkeffekte entstehen.
  25. Öffentlich-rechtliches Ökosystem bedeutet, sich für Inhalte von Dritten zu öffnen. Es wird Zeit, dass Mediatheken zur Plattform werden und anderen gemeinnützigen Anbietern wie Universitäten oder Kultureinrichtungen eine Bühne bieten.
  26. Investitionen in freie Software und freie Lizenzen sind Beispiele für digitalen Public Value jenseits programmlicher Aspekte. Ein Thema, zu dem der ZDF-Verwaltungsrat 2023 eine Potenzialanalyse ausgeschrieben und inzwischen bei Prof. Frank Lobigs (TU Dortmund) beauftragt hat.
  27. Offenheit und Transparenz ist auch bei Personalisierung und Empfehlungssystemen angesagt. Das Portal algorithmen.zdf.de ist diesbezüglich wegweisend.
  28. Empfehlungsalgorithmen in Mediatheken folgen dem demokratischen Auftrag. Genau deshalb ist es wichtig, dass es öffentlich-rechtliche Plattformen und ihre „demokratischen Algorithmen“ als Alternative zu kommerziellen Plattformen mit ihren auf Profitmaximierung optimierten Algorithmen gibt.
  29. Professionalisierung ist nicht die Antwort auf Aufsichtsversagen. Denn (durchaus ausbaufähige) Vielfalt ist eine Stärke von Rundfunkräten, weil sie die Senderspitzen öffentlich-rechtlicher Medien zwingt, ihre Pläne und Strategien für Laien verständlich darzulegen und ihre Vorhaben nachvollziehbar zu rechtfertigen.
  30. Freundeskreise sind besser als ihr Ruf: Kaum etwas im Kontext öffentlich-rechtlicher Medien hat einen schlechteren Ruf als die sogenannten „Freundeskreise“ in der Rundfunkaufsicht. Auch beim ZDF treffen sich vor Fernsehratssitzungen zwei grob weltanschaulich verortete Gruppen – ein eher progressiver und ein eher konservativer Freundeskreis – zu Vorbesprechungen. Wie in Folge 22 ausgeführt, handelt es sich dabei um so etwas wie Fraktionen, wie sie in politischen Vertretungskörpern überall auf der Welt üblich sind. Ich bin immer noch überzeugt, dass es sinnvoll wäre, solche Fraktionen in der Geschäftsordnung offiziell vorzusehen und sie damit ihres vermeintlich konspirativen Charakters zu berauben.
  31. Rot und schwarze Häppchen sind die Ausnahme: Nur bei meiner allerersten Fernsehratssitzung gab es die farblich an Freundeskreise erinnernden Käsebällchen.
  32. Freundeskreise sorgen für Transparenz nach Innen: Denn natürlich stellen sich im Rahmen der Rundfunkaufsicht ständig weltanschaulich-politische Fragen. Welche Themen, Interessen, Gruppen im öffentlich-rechtlichen Angebot wie präsent sind, ob und auf welche Weise am ehesten Ausgewogenheit bei politischer Berichterstattung hergestellt wird. Den politischen Charakter von Rundfunkaufsicht zu leugnen, wäre naiv. Noch naiver wäre nur, zu glauben, dass es in einem quasi-parlamentarischen Gremium mit 60 Mitgliedern wie dem Fernsehrat keine Vorgespräche und Absprachen geben würde. Freundeskreise sorgen jetzt zunächst dafür, dass zumindest ein Teil solcher Vorgespräche und Absprachen unter Einbeziehung sämtlicher Mitglieder von Rundfunk- und Fernsehräten erfolgt.
  33. Freundeskreise beschränken die Macht der Staatsbank: Ironischerweise wird durch formalisierte Vorgespräche die Macht der parteipolitisch besetzten ‘Staatsbank’ nicht automatisch gestärkt, sondern tendenziell eingehegt. Denn jenes Drittel der parteipolitisch besetzten Mitglieder kennt sich schon lange bevor sie Teil der Rundfunkaufsicht werden. Denn die für Medienpolitik in ihren Parteien Zuständigen sind, bildlich gesprochen, schon vorher in gemeinsamen Chatgruppen, um sich auszutauschen und abzustimmen. Erst die Freundeskreise bieten jetzt auch allen anderen Mitgliedern der Rundfunkaufsicht einen Rahmen, um sich abseits der Sitzungen kennenzulernen, auszutauschen und ebenfalls abzustimmen. Und weil es im Rahmen der Freundeskreise auch zu formalisierten Entscheidungsprozessen kommt, führen sie eher zu einer Beschränkung denn einer Ausdehnung des parteipolitischen Einflusses der Staatsbank. Ob diese Möglichkeit von der Mehrheit der Vertreter:innen gesellschaftlicher Gruppen und Bereiche auch genutzt wird, ist wieder eine andere Frage und liegt auch sehr an den handelnden Personen.
  34. Ein Drittel Staatsbank ist immer noch sehr viel: Anders als bei den Mitgliedern der Staatsbank verhält es sich bei den Vertreter:innen der gesellschaftlichen Gruppen. Sie kommen in den Rundfunkräten zum ersten Mal zusammen und es dauert – auch weil es ja nur einmal im Quartal Plenumssitzungen gibt – bis die sich überhaupt kennengelernt haben. Insofern ist es in der Tat so, dass die Staatsbank, obwohl sie maximal ein Drittel der Mitglieder stellt, einen durchaus beträchtlichen Einfluss ausübt – und zwar unabhängig von der Existenz von Freundeskreisen. Einfach, weil sie organisiert und oft untereinander abgestimmt agieren kann.
  35. Hinzu kommt: Es gibt eine Schattenstaatsbank, also Vertreter:innen gesellschaftlicher Gruppen, die sehr ausgeprägten parteipolitischen Hintergrund haben. Auch das spricht dafür, die offizielle Staatsbank auf ein Viertel der Mitglieder zu beschränken und stattdessen Mitglieder per Los zu nominieren.
  36. Es wird viel zu viel über Freundeskreise geredet. (Stimmt auch für diese Liste.) Wichtiger für staatsferne Aufsicht sind Art und Weise der Besetzung, Regeln für qualifizierte Mehrheiten und Transparenz.
  37. Rundfunkföderalismus ist gut für die Aufsicht: gerade auch im Vergleich mit der Rundfunkaufsicht in anderen Ländern wie Österreich zeigt sich, wie wichtig der Rundfunkföderalismus für die Staatsferne und weltanschauliche Ausgewogenheit öffentlich-rechtlicher Medien ist. Während in Österreich die Bundesregierung mehr als die Hälfte der Mitglieder des ORF-Stiftungsrats bestimmt, werden beim ZDF nur zwei Personen von der Regierung bestimmt. Die dezentrale, föderalistische Auswahl auch im Bereich der gesellschaftlichen Gruppen (z.B. Berlin für „Internet“, Bayern für „Digitales“, Thüringen für „LGBTIQ“ etc.) sorgt automatisch für eine gewisse weltanschauliche Bandbreite.
  38. Es gibt keine völlig unabhängigen Medien, nur unterschiedliche Abhängigkeiten. Deshalb ist es für eine demokratische Öffentlichkeit wünschenswert, relevante Medien mit unterschiedlichen Abhängigkeiten zu haben.
  39. Rundfunkföderalismus ist schlecht für nachhaltige, staatsferne Finanzierung: Die Notwendigkeit von Einstimmigkeit aller deutschen Bundesländer für eine Anpassung des Rundfunkbeitrags wird in Zeiten starker politischer Polarisierung zunehmend zum Problem. Eine Indexierung des Beitrags wäre hier die bessere Lösung gewesen.
  40. Apropos Rundfunkbeiträge: Repliken in Tweet-Länge auf die fünf häufigsten Takes dazu („Nutze ich ja gar nicht!“, „Die machen Volksmusik!“ etc.) finden sich in diesem Thread.
  41. Gemeinschaftlich finanzierte Medien sind eine Form von Vergesellschaftung. Von den Stärken und Schwächen öffentlich-rechtlicher Governance lässt sich deshalb auch für andere Bereiche lernen, wo es Bedarf nach vergesellschaftlichten Alternativen zu marktbasierten Lösungen gibt (#99).
  42. Rundfunkföderalismus ist eine Herausforderung für die Rundfunkaufsicht. Derzeit werden viele Diskussionen in den diversen Rundfunkräten parallel geführt, es gibt kaum strukturierten Austausch über Rundfunk- und Fernsehräte hinweg.
  43. Losen ist besser als wählen (#43): Aufsicht öffentlich-rechtlicher Medien steht vor dem prinzipiellen Problem, einerseits staats- und parteifern sein zu müssen, andererseits aber demokratisch rückgebunden. Ein Ausweg wäre, einen relevanten Teil der Mitglieder von Rundfunk- und Fernsehräten zu losen, ähnlich wie das in der Justiz (bei Geschworenen) üblich ist.
  44. Losen von Rundfunkräten würde auch gegen Diversitätsdefizite helfen. Dass es diese Defizite gibt, hat eine Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen gut nachvollziehbar dokumentiert.
  45. Beauftragung von wissenschaftlichen Studien kann bei Bewältigung digitaler Herausforderungen wegweisend sein, wie u.a. das Gutachten „Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud“ (#3) gezeigt hat.
  46. Aufsichtsgremien wie Fernseh- und Verwaltungsrat sollten auch unabhängig von den Anstalten Studien beauftragen. Aufsichtsgremien sind hier freier als die Anstalten selbst und können so auch als Impulsgeber fungieren.
  47. Presseähnlichkeit ist ein unzeitgemäßes Unwort.
  48. Das Textverbot für öffentlich-rechtliche Online-Angebote, war und ist falsch.
  49. Funk ist ein Vorbild für die Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien. Die jüngsten Zahlen untermauern das.
  50. Auch Bloggen macht Gremienarbeit nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Aber mehr Spaß macht es schon. In diesem Sinne: Vielen Dank an alle, die bis hierher gelesen haben und sich für Neues aus dem Fernsehrat interessieren.


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02.10.2023 06:58

Obwohl die Plattform das eigentlich verbietet, haben fast alle Parteien politische Werbung auf TikTok geschaltet. Schaut man genauer hin, stößt man auf weitere Ungereimtheiten.

Collage: Ein Mann im blauen Anzug, daneben das Logo der Schufa und von TikTok
Machte im Wahlkampf Werbung auf TikTok: Der Frankfurter Bürgermeister Mike Josef (SPD) – Alle Rechte vorbehalten Stadt Frankfurt / Schufa / TikTok

Wenn es um politische Werbung geht, sind die Regeln von TikTok eigentlich eindeutig. „TikTok verbietet seit langem politische Werbung, sowohl bezahlte Anzeigen als auch das Bezahlen von Creator*innen für die Erstellung von politischen Markeninhalten“, heißt es in den Richtlinien. Besonders strikt ist die Videoplattform des chinesischen Unternehmens ByteDance bei Accounts von Politiker:innen oder Parteien, denen laut einem Blogpost aus dem Jahr 2022 automatisch der Zugang zur Werbefunktion verwehrt wird.

Und doch: Forscher:innen der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) haben in einer Untersuchung mehr als hundert Werbeanzeigen auf TikTok gefunden, deren Absender die Accounts von Abgeordneten oder Parteien aus Deutschland sind. Möglich ist die Untersuchung, weil TikTok seit kurzem ein Archiv geschalteter Werbeanzeigen zur Verfügung stellt – eine Vorgabe aus dem Digitale-Dienste-Gesetz der Europäischen Union. Die Öffentlichkeit erhält damit erstmals Einblick in die Werbung auf TikTok, auch wenn die SNV kritisiert, dass TikTok nicht genügend Informationen bereitstelle.

Insgesamt haben die Forscher:innen 105 Anzeigen von Politiker:innen oder Parteien gefunden. Fast die Hälfte stammt der Analyse zufolge von der SPD, nämlich 52. Mit 26 Anzeigen auf TikTok stellt die AfD die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von den Freien Wählern mit 13 Anzeigen und der FDP mit acht Anzeigen. Von der Partei Die Linke haben die Forscher:innen fünf Anzeigen entdeckt und eine von der CDU. Abgeordnete oder Parteigliederungen der Grünen haben demzufolge keine Anzeigen geschaltet.

AfD-Bundestagsabgeordneter verstieß gegen Werbeverbot

Um die Relation richtig einschätzen zu können, ist wichtig, dass die Forscher:innen im Zeitraum von Anfang 2022 bis Ende August 2023 insgesamt 7,5 Millionen Anzeigen gefunden haben. 105 politische Anzeigen sind da nur ein Bruchteil – und doch stellen sie Verstöße gegen die Regeln der Plattform dar. Dessen ist sich auch TikTok bewusst. Nach unserer Presseanfrage löschte der Konzern die unrechtmäßig geschalteten Anzeigen aus dem Transparenzarchiv.

Für die Öffentlichkeit ist nun nicht mehr direkt nachvollziehbar, wer sich über TikToks Regeln hinwegsetzte. Doch die Forscher:innen der SNV haben eine Datenbank mit den politischen Anzeigen erstellt, die sie gefunden haben. Teilweise stammen sie von Ortsverbänden der Parteien, teilweise von politischen Jugendorganisationen. Vor allem von der Jungen Alternative stechen gleich mehrere Anzeigen ins Auge, also der Jugendorganisation der AfD. Aber auch die Linksjugend Dresden hat dem Datensatz zufolge eine Anzeige auf TikTok geschaltet.

Außerdem finden sich in dem Datensatz mehrere Landes- und Bundespolitiker:innen. Auch hier sind es besonders häufig Abgeordnete der AfD, etwa der Bundestagsabgeordnete Frank Rinck, der niedersächsische Landtagsabgeordnete Marcel Queckemeyer oder Olga Petersen, Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Vereinzelt verstießen jedoch auch Politiker:innen anderen Parteien gegen das Werbeverbot, etwa der bayerische Landtagsvizepräsident Wolfgang Heubisch. Der FDP-Politiker ist einer der erfolgreichsten Politiker:innen auf der Plattform und erreicht mit seinen Videos teilweise Millionen Aufrufe.

Schaut man sich die Anzeigen der SPD an, fällt auf, dass fast alle von einem Konto stammen: dem der SPD Frankfurt am Main. Wenn man vor TikToks Löschaktion im Werbearchiv nach der SPD Frankfurt suchte, lächelte einen häufig das Gesicht von Mike Josef an. Er ist seit dem Frühjahr Bürgermeister von Frankfurt am Main und lieferte sich im Wahlkampf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit seinem Mitbewerber von der CDU.

SPD-Werbung für Shisha und Schufa?

Die Ausgangslage für Josef war nicht gerade einfach: Der vorherige Amtsinhaber Peter Feldmann, ebenfalls SPD, war wegen eines Korruptionsskandals abgewählt worden. Mit seinen 40 Jahren ist Josef für einen Politiker verhältnismäßig jung, da liegt der Gedanke nahe, auf TikTok für ihn Wahlkampf zu machen.

Im Anzeigenarchiv fand man bis vor kurzem verschiedene Kurzvideos mit Werbung für den SPD-Politiker. Mal war er beim Sport zu sehen, etwa auf dem Fußballplatz oder beim Basketball. Mal lief er durch den Regen und sprach über sein Aufwachsen in einer Wohnsiedlung. Mal warben andere Unterstützer:innen für ihn. Laut Archiv haben die einzelnen Videos nie mehr als 100.000 Aufrufe erzielt.

Das ist alles nicht besonders aufregend, klassische Partei-Kommunikation auf Social-Media. Eigentlich etwas zu langweilig für TikTok. Doch dann gibt es da noch diese andere Werbung. Besonders ins Auge stechen nämlich Anzeigen, für die laut TikTok-Archiv zwar die SPD Frankfurt verantwortlich ist, die aber gar nicht für Mike Josef werben. Oder für die SPD. Sondern für die Schufa.





„Weil lustig bisher nicht unser Ding war“ steht auf dem Vorschaubild der Anzeigen. Die Anzeigen stammen aus dem Frühjahr und Spätsommer 2023, sie sind Teil einer neuen Selbstvermarktung des Bewertungsunternehmens. Die Schufa ist umstritten, weil sie Daten von Millionen Menschen sammelt und auf dieser Grundlage einen intransparenten Bonitäts-Score errechnet. In dem Video erklären zwei Influencerinnen, warum die Schufa in Wirklichkeit total cool und praktisch ist.

Und dann gibt es da plötzlich Content, indem es um gar nichts Politisches mehr geht, sondern um Shishas und ums Vapen, also das Rauchen von E-Zigaretten. „We love Hookas, we love Babes“ steht auf dem Vorschaubild, umweht von grünem Rauch. Das macht stutzig.

Schuld ist wieder mal die Agentur

Seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Aufregung und Regelverstößen bei politischer Werbung in Sozialen Medien. In Deutschland verstieß der AfD-Politiker Henning Otte gegen Twitters Verbot politischer Werbung, als er sich selbst als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten promotete.

Mutmaßlich sogar gegen die Grundsätze der Verfassung verstießen das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) und das Landesklimaministerium von Anne Spiegel (Grüne), als sie zielgerichtete Werbung auf Facebook für Parteianhänger:innen schalteten. Die Ministerien entschuldigten sich, als die Sache vom ZDF Magazin Royale aufgedeckt wurde, und verwiesen auf Dienstleister, die Schuld and den Fehlern seien.

Aber macht die SPD wirklich Werbung auf TikTok für Shishas und die Schufa? Nein, sagt uns ein Sprecher der SPD Frankfurt. Er verweist auf einen Dienstleister, der für die Partei Werbung schaltet. Das Werbekonto der SPD Frankfurt werde nämlich von einer Werbeagentur namens Bitfuel geführt. Die Firma schaltet jedoch nicht nur für die SPD Werbung, sondern auch für andere Kunden. Zum Beispiel die Schufa.

Dabei ist der Agentur offenbar ein Fehler unterlaufen. „Im von Ihnen angesprochenen Fall handelt es sich nach ersten Informationen wohl um einen einfachen Namensfehler in den Einstellungen des Werbekontos innerhalb der Adminrechte und Zuweisungen der TikTok-Kanäle, die betreut werden“, schreibt uns der SPD-Sprecher. Vereinfacht gesagt: Statt die SPD nur als Absender der SPD-Anzeigen einzutragen, landete sie auch als Absender hinter den Anzeigen, die die Agentur für die Schufa und andere geschaltet hat.

Tatsächlich aber stehe die SPD Frankfurt, das betont der Sprecher ausdrücklich, „in keinerlei Zusammenhang mit der SCHUFA“. Vor allem stehe die Partei auch nicht hinter der Finanzierung der Schufa-Werbung auf TikTok. Die Werbeagentur rechne lediglich Anzeigen ab, die sie tatsächlich im Auftrag der SPD Frankfurt gekauft und bezahlt habe.

Manchmal rutscht was durch

Wie TikTok mit politischen Anzeigen umgeht, dürfte derzeit vor allem für die Europäische Union interessant sein. Nicht nur wegen der Frage, wie die Plattform die Regeln des Digital Services Act umsetzt. Sondern auch, weil die EU derzeit über verschärfte Regeln für politische-Online-Werbung verhandelt.

2024 wählt Europa ein neues EU-Parlament. Dann sollen Politik und Plattformen transparenter mit Werbung umgehen müssen und die Datennutzung einschränken. Mit seinem strikten Verbot politischer Werbung übererfüllt TikTok die Vorgaben eigentlich. Doch wenn das Unternehmen die eigenen Regeln nicht durchsetzen kann, was sind sie dann wert?

TikTok selbst kann bislang nicht beantworten, woran es liegt, dass Parteien und Politiker:innen Anzeigen schalten konnten. Am Donnerstagmittag hatten wir dem Unternehmen eine kurze Presseanfrage geschickt. Bis heute liegen keine schriftlichen Antworten vor.

Eine Sprecherin vertröstete uns mehrfach und teilte lediglich telefonisch mit, dass man sich des Problems bewusst sei, dass vereinzelt politische Anzeigen durchrutschen. Wenn man die Werbefunktion für alle Inhaber:innen und Bewerber:innen politischer Ämter sperren will, müsse man mehr als zehntausend Menschen im Blick behalten.


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01.10.2023 08:29

Die Vereinten Nationen wollen mit dem „Global Digital Compact“ weltweite Leitlinien für ein offenes, freies und sicheres Internet definieren. Digitale Commons müssen im Zentrum der Strategie stehen.

Eine Wiese in einem Park
Wir brauchen Digital Commons wie wir Parks im Analogen brauchen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Martins Cardoso

Nicht weniger als unsere globale digitale Zukunft steht auf der Agenda der Vereinten Nationen (UN). Diese Zukunft wollen die UN in verschiedenen Bereichen gestalten. Mit den „Guidelines for an Internet of Trust“ soll geklärt werden, was inhaltlich erlaubt ist und was nicht – auf Plattformen etwa.

Zuletzt wollen die UN mit dem Global Digital Compact (GDC) die Frage beantworten, wie menschliche Entwicklung mit digitalen Hilfsmitteln gelingen kann. Noch stehen Konsultationen an. Im September 2024 sollen auf dem Summit for the Future gemeinsam verabschiedete Papiere gefeiert werden.

Der Entwicklung von globalen nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) hatten politische Akteur*innen 2015 eine große Bedeutung beigemessen. Für den aktuellen GDC-Prozess interessieren sich die zuständigen Ministerien aber offenbar kaum. Das ist bedauerlich. Denn dadurch gerät etwas unter die Räder, das für die Gestaltung eines offenen, freien und menschlichen Internets essenziell ist: Digital Commons.

Was sind Digital Commons?

Digital Commons, ähnlich wie bei der Allmende, sind gemeinschaftlich genutzte und verwaltete Güter. Nur sind es im Digitalen eben nicht natürliche Ressourcen wie Gewässer, Landflächen oder Wälder. Digital Commons entstehen häufig erst in einem gemeinschaftlichen Prozess, dem eine gemeinsame Idee zugrunde liegt. Etwa die Idee des Freien Wissens, das Menschen unentgeltlich in Wikis teilen.

Digital Commons sind geteilte Güter, die sich nicht so leicht verbrauchen – also etwa offene Software und Daten oder digitale Infrastruktur, die alle frei nutzen können. Frei lizenzierte digitale Medien und Kunst gehören auch zu den Digital Commons. Lizenzen wie Creative Commons spielen eine zentrale Rolle, um digitale Güter für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

Die Rolle von Digital Commons in den aktuellen UN-Entwürfen

Im Policy Brief des UN-Generalsekretärs gibt es ein Kapitel zu Digital Commons. Das passt zum Ansatz für den GDC. Das Digitale soll kein Raum der Unterschiede und Trennungen sein. Mit der UN-Strategie sollen Regeln definiert und Prozesse gestaltet werden, die gemeinsames Wachsen ermöglichen und das Verbindende der digitalen Weltgemeinschaft betonen.

Ideen also, die geradezu nach Digital Commons verlangen. Jedoch wirkt dieses Kapitel – gerade im Vergleich zum KI-Kapitel – recht uninspiriert.

Die Vereinten Nationen sollten digitale Räume analog zum öffentlichen Raum betrachten, um sie zu gestalten. Staatliche Akteur*innen müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass das Internet ein sicherer und offener Ort ist, an dem Teilhabe für alle möglich ist. Sie müssen Regeln analog zum öffentlichen Raum definieren – und durchsetzen.

Auch im Digitalen sollte es öffentliche Räume wie Parks geben. Und zwar als sichere Treffpunkte, an denen Menschen unabhängig von einer Markt- und Konsumlogik Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Solche Orte erlauben im Digitalen, was analog kaum möglich ist: grenzenlose Zusammenarbeit, Solidarität und unendlich teilbare Wissensressourcen. Wikipedia und die vielen Wikimedia-Projekte sind ein Beispiel dafür.

Weg vom nationalen Denken

Wenn es um digitale Technologien, Anwendungen und Infrastruktur geht, wird zu oft in Besitzkategorien oder nationalen Vorteilen gedacht. Das zeigt auch die internationale Datenstrategie der Bundesregierung – auch wenn sie sich gegen Marktmonopole wendet.

Wenn aber die Prinzipien der Digital Commons global umgesetzt werden, etwa im Bereich der digitalen Infrastrukturen, wird es weniger Abhängigkeiten geben. Weil alle auf digitale Technologien zugreifen und diese souverän und strategisch nutzen und weiterentwickeln können.

Organisationen der internationalen globalen Zivilgesellschaften arbeiten schon seit Jahren vernetzt und können den Verhandlungsführer*innen zum GDC gute Beispiele liefern, wie ein offener, digitaler, gemeinwohlorientierter Raum aussehen sollte – und welche Vorteile für die menschliche Entwicklung schon jetzt nachweisbar sind.

Der vor kurzem erfolgte Austausch zwischen Fachministerien und Stakeholder*innen aus der Zivilgesellschaft zum GDC zeigt, dass zivile Akteure staatliches Handeln und konkret die Arbeit am GDC positiv unterstützen können.


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30.09.2023 08:00

Kollege Markus Reuter packt aus: Wie ist es, zwei Jahre lang rauf und runter über ein Gesetzesvorhaben zu berichten, das viele betrifft, aber nur wenige so richtig aufregt?

Behörden könnten Nutzer:innen über die Schulter schauen, sollten die Pläne einer Chatkontrolle zur Realität werden. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Adem AY


Im Mai 2022 hat die EU-Kommission ein neues Gesetz vorgeschlagen: Um sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen, will sie private Chats und Nachrichten scannen. Nicht etwa bei Verdächtigen, sondern ganz pauschal bei allen Menschen in der EU. Die so genannte Chatkontrolle. Seitdem hagelt es Kritik: Fachleute sprechen von einer „nie dagewesenen Überwachungsstruktur“ und einem „digitalen Angriff“ auf unsere Privatsphäre.

Seitdem hagelt es auch Berichte, zumindest bei netzpolitik.org. Wir haben über die Chatkontrolle im vergangenen Jahr so oft und viel berichtet wie vielleicht über kein anderes Gesetzesvorhaben. 151 Beiträge haben wir geschrieben, Hintergründe zur Lobbyarbeit von involvierten KI-Firmen recherchiert, interne Dokumente veröffentlicht. Ein ganzes Team von Kolleg:innen arbeitet zum Thema und beobachtet täglich, wie es mit dem Vorhaben weitergeht.

Bleibt die Frage: Warum beschäftigen wir uns so intensiv mit einem Gesetz, das ja bisher nicht mal verabschiedet wurde? Darüber spricht Chris in dieser Folge mit Markus Reuter.


In dieser Folge: Chris Köver, Markus Reuter.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.


Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format.


Unseren Podcast könnt ihr auf vielen Wegen hören. Der einfachste: in dem eingebundenen Player hier auf der Seite auf Play drücken. Ihr findet uns aber ebenso bei Apple Podcasts, Spotify und Deezer oder mit dem Podcatcher eures Vertrauens, die URL lautet dann netzpolitik.org/podcast.


Wie immer freuen wir uns über Kritik, Lob und Ideen, entweder hier in den Kommentaren oder per Mail an podcast@netzpolitik.org.


Links und Infos


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29.09.2023 17:59

Die 39. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 21 neue Texte mit insgesamt 131.088 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Liebe Leser:innen,

geht es Euch auch so, dass Ihr Euch manchmal hilflos und ohnmächtig fühlt, wenn Ihr seht, auf welchen Pfad unsere Demokratie gerade gerät? Und nein, es soll heute nicht um die Chatkontrolle gehen, wo gerade nach den Enthüllungen über Lobby-Verflechtungen viel in Bewegung ist.

Es geht darum, wie Menschenrechte und die Demokratie als Ganzes immer weiter zur Disposition stehen. Es geht darum, wie autoritäre, rechtsradikale Diskurse einsickern, wie konservative Akteure das Sagbare nach rechts verschieben, wie sie die Faschisten der AfD aktiv salonfähig machen – und wie demokratische Regierungsparteien in Furcht vor einem Machtverlust vorauseilend selbst die rechte Migrationspolitik der Orbáns und Melonis mitmachen.

Wer einigermaßen vernunftbegabt ist, dürfte fassungslos sein, dass wir in einem Land, das Zuwanderung dringend braucht, schon wieder eine unselige Migrationsdebatte aufmachen. Eine Debatte, in der Medien wie der Spiegel auf seiner Titelseite ohne Rücksicht auf Verluste rassistische Ängste schüren und CDU-Politiker wie Friedrich Merz mit seiner Zahnarzt-Lüge rechtsradikale Desinformation betreiben. Sie spielen das Spiel der AfD. Sie machen diese Partei stark. Sie handeln unverantwortlich wider die Demokratie.

Und nebenbei erleben wir, wie die CDU schleichend, aber sehr deutlich sichtbar, immer weiter mit der rechtsradikalen AfD paktiert. Dabei ist eigentlich sonnenklar: Gegen Faschisten sind auch die Konservativen gefragt. Sie müssten ein Bollwerk sein, sie haben eine wichtige Aufgabe in der bunten demokratischen Abwehrkette, die hier so gerne Brandmauer genannt wird. Konservative haben vor 90 Jahren schon einmal versagt bei dieser Aufgabe – und es sieht verdammt nochmal so aus, dass sie es dieses Mal wieder tun.

Mit Grundrechten nicht vereinbar

Klar ist: Grund- und Freiheitsrechte sind nicht mit Rechtsradikalismus vereinbar. Wer diese Türe aufstößt, der wird einen galoppierenden Abbau von Menschenrechten erleben. Der wird einen Abbau von Demokratie erleben, einen Abbau von Gewaltenteilung, einen Abbau von Vielfalt, die Entmachtung der Zivilgesellschaft und den Verfall von Werten. Alle Erfahrungen in anderen Ländern zeigen das, mal von unserer eigenen Geschichte ganz zu schweigen. Es gibt keinen menschenrechtszugewandten Faschismus, egal wie Cadenabbia-Blau neubraun die Farbschattierung ist und wie schön sich die Rechtsradikalen dieses Mal nennen und tarnen.

Als netzpolitik.org berichten wir immer wieder über Themen, die mindestens am Rande mit dieser Entwicklung zu tun haben. Zum Beispiel diese Woche, wenn CSU und FDP Chipkarten für Geflüchtete fordern, damit Menschen die Möglichkeit genommen wird, selbstbestimmt mit Geld umzugehen. Wir berichten immer wieder darüber, wie Migrant:innen in Deutschland überwacht und wie die europäischen Außengrenzen und Lager aufgerüstet werden. Wir haben die Desinformation und die Netzwerke der Rechten in sozialen Medien angeschaut. Wir tun also, was wir im Rahmen von netzpolitischen Themen tun können. Und wir fragen die AfD bei diesen Themen und bei allen anderen Themen nicht um ihre Meinung, weil wir ihnen bewusst keine Plattform bieten wollen.

Aber ist das genug? Wir fragen uns gerade, ob es mehr braucht, damit wir in dieser gefährlichen Phase Menschenrechte und Demokratie noch besser schützen können – und welchen Beitrag wir als Redaktion dazu leisten können und müssen.

Euch allen ein frühherbstlich-buntes und hoffnungsvolles Wochenende

Markus Reuter


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Schon drei Mal ist die Wahl eines neuen Datenschutzbeauftragten in Sachsen-Anhalt krachend gescheitert. Nach dem jüngsten Wahldebakel setzen CDU, SPD und FDP nun auf Zweckoptimismus. Die Opposition ist skeptisch – und bietet erneut Hilfe an. Von Ingo Dachwitz –
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Digitale-Dienste-Gesetz: XVideos wird erste Pornoplattform in der Liga der Riesen

Die meistbesuchte Pornoseite der Welt behauptet, mehr als 160 Millionen Nutzer:innen in der EU zu haben – jeden Monat. Damit müsste XVideos bald die striktesten Auflagen der EU einhalten, wie sie sonst nur für „Very Large Online Plattforms“ wie Google oder Amazon gelten. XVideos bereitet sich schon mal auf die „Herausforderung“ vor. Von Chris Köver –
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Chatkontrolle: EU-Ausschuss fordert von Innenkommissarin Aufklärung über Lobby-Verflechtungen

Der Druck auf Ylva Johansson wächst. Nach den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu Lobby-Verflechtungen bei der Chatkontrolle fordert der Innenausschuss des Europäischen Parlaments jetzt Aufklärung. Von Markus Reuter, Andre Meister –
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Geoblocking: Wie sich Valve verzockt hat

Jahrelang hat der Spiele-Publisher Valve seine Kund:innen mit Hilfe von Geoblocking daran gehindert, Produkte im Ausland günstiger einzukaufen. Das hat zunächst die EU-Kommission und nun das Gericht der Europäischen Union als Verletzung von EU-Recht gewertet. Von Nora Nemitz –
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Auskunftsrechte: Zyklus-Apps verstoßen gegen Datenschutzrichtlinien

Nutzer:innen von Zyklus-Apps sollen auf einfachem Weg erfahren, wie ihre Daten verarbeitet werden. So fordert es die Datenschutzgrundverordnung. Ein Test der Stiftung Warentest und des Verbraucherzentrale Bundesverbands zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Von Hasset Tefera-Alemu –
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Glasfaserwüste: EU-Kommission rügt lahme deutsche Infrastruktur

Bis zum Ende des Jahrzehnts soll es überall in der EU moderne Netze geben. In ihrem ersten Zwischenbericht zur „Digitalen Dekade“ mahnt die EU-Kommission Deutschland zu einem höheren Tempo. Dabei helfen könnte die „Gigabit-Richtlinie 2.0“, zu der nun erste Zahlen vorliegen. Von Tomas Rudl –
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USA: Lieferroboter bringen mehr Überwachung auf den Straßen

Moderne Technik und Sensorik in privater Hand kann zu einem weiteren Anstieg der Überwachung führen. Jüngstes Beispiel sind Lieferroboter in den USA, deren Videomaterial bei der Polizei landen kann. Von Markus Reuter –
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Interne Dokumente: Europol will Chatkontrolle-Daten unbegrenzt sammeln

Europol wünscht sich ungefilterten Zugang zu Daten der Chatkontrolle, um KI-Algorithmen zu trainieren. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die wir veröffentlichen. Zwei ehemalige Beamte der EU-Polizei wechselten zur US-Organisation Thorn, die massiv für das geplante Gesetz lobbyiert. Von Andre Meister, Ludek Stavinoha, Giacomo Zandonini, Apostolis Fotiadis –
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29.09.2023 14:26

Europol wünscht sich ungefilterten Zugang zu Daten der Chatkontrolle, um KI-Algorithmen zu trainieren. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die wir veröffentlichen. Zwei ehemalige Beamte der EU-Polizei wechselten zur US-Organisation Thorn, die massiv für das geplante Gesetz lobbyiert.

Catherine De Bolle und Ylva Johansson
Fordern Chatkontrolle: Europol-Chefin Catherine De Bolle und EU-Kommissarin und Ylva Johansson. – Alle Rechte vorbehalten Europäische Kommission

Vor anderthalb Jahren hat die EU-Kommission eine Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorgeschlagen. Über 80 NGOs kritisieren das geplante Gesetz als beispiellos: „Es soll Internetdienste verpflichten, die private digitale Kommunikation aller Menschen im Auftrag von Regierungen zu durchleuchten.“

Das Gesetz beinhaltet auch die Einrichtung einer neuen EU-Agentur, das EU-Zentrum zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das neue EU-Zentrum soll laut Entwurf der Kommission „eng mit Europol zusammenarbeiten“. Im Verwaltungsrat des EU-Zentrums soll ein Vertreter von Europol sitzen, im Gegenzug soll ein Vertreter des EU-Zentrums dem Verwaltungsrat von Europol angehören.

Wenige Wochen nachdem die Kommission ihren Vorschlag veröffentlichte, besuchte eine hochrangige Delegation der EU-Kommission die Polizeibehörde der EU, um das Gesetz zu besprechen. Monique Pariat, Generaldirektorin bei Innenkommissarin Ylva Johansson, traf dabei auf Catherine De Bolle, Direktorin von Europol, und drei weitere leitende Beamte der EU-Polizei. Wir veröffentlichen das Protokoll des Treffens in Volltext.

Alle Daten weitergeben

Dabei forderte Europol unbeschränkten Zugang zu den Daten, die bei der Chatkontrolle anfallen: „Alle Daten sind nützlich und sollten an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Es sollte keine Filterung durch das Zentrum geben, da selbst ein unschuldiges Bild Informationen enthalten kann, die irgendwann für die Strafverfolgung nützlich sein könnten.“

Das neue EU-Zentrum spielt eine Schlüsselrolle im geplanten Gesetz. Es soll „Datenbanken mit Indikatoren für sexuellen Kindesmissbrauch im Internet einrichten, pflegen und betreiben, die die Anbieter nutzen müssen, um ihren Aufdeckungspflichten nachzukommen.“ Das Zentrum soll außerdem Verdachtsmeldungen der Anbieter entgegennehmen, prüfen und dann an Europol und die nationalen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.

Der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments rechnet mit jährlichen Kosten von 28,5 Millionen Euro „bei normalem Betrieb“ des Zentrums. Die EU-Kommission bezeichnet Europol als „engsten Partner“ des EU-Zentrums und will beide „am selben Standort“ einrichten.

Andere Kriminalitätsbereiche

Beim Besuch der EU-Kommission schlug Europol auch vor, die Chatkontrolle auszuweiten: „Es gibt andere Kriminalitätsbereiche, die von der Aufdeckung profitieren würden.“ Diese sollten ebenfalls ins Gesetz geschrieben werden.

Die EU-Polizei forderte auch, dass Europol und Strafverfolgungsbehörden „KI-Instrumente für Ermittlungen nutzen“ und „Abhörmaßnahmen einsetzen können“. Die ebenfalls verhandelte KI-Verordnung dürfe die Polizei nicht einschränken.

Viele der Vorschläge von Europol stehen im Gesetzentwurf der Kommission. Demnach soll das EU-Zentrum alle Meldungen, die nicht „offensichtlich unbegründet“ sind, an Europol und an die nationalen Strafverfolgungsbehörden übermitteln.

Die EU-Kommission hat auf unsere Fragen zum Treffen nicht geantwortet.

KI und Grundrechtsprobleme

Europol „wies auch darauf hin, dass zum Trainieren von Algorithmen hochwertige Daten benötigt werden“. Das darf die EU-Polizei seit der Europol-Reform im letzten Jahr. Datenschützer wie European Digital Rights kritisieren das Gesetz als „schwarzes Daten-Loch“ und „NSA-ähnliche Überwachungsmaßnahmen“.

Die EU-Polizei hat ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum. Das Innovation Lab arbeitet an an einem Tool, „das KI nutzt, um automatisch Bilder und Videos von mutmaßlichem sexuellem Kindesmissbrauch zu klassifizieren“. Der Grundrechtsbeauftragte von Europol, Dirk Allaerts, hat den Vorschlag geprüft, wir veröffentlichen seinen Bericht.

Demnach sieht der Grundrechtsbeauftragte bei der Entwicklung „kein Risiko der Verletzung von Grundrechten im engeren Sinne“. Beim Einsatz dieses KI-Tools „ist jedoch besondere Aufmerksamkeit erforderlich, um zu vermeiden, dass das Instrument verzerrte Ergebnisse, falsch positive oder falsch negative Ergebnisse liefert“. Falsche Ergebnisse könnten „zu Grundrechtsproblemen führen, z. B. zur Verletzung des Rechts auf Verteidigung oder ein faires Verfahren“.

Europol will Informationen erhalten

Wir haben Europol nach seinem Einfluss auf das neue EU-Gesetz gefragt. Zu konkreten Inhalten des Treffens möchte Europol nichts sagen, „Europol äußert sich nicht in der Öffentlichkeit zu internen Sitzungen.“

Die EU-Polizei ergänzt: „Was das künftige EU-Zentrum für sexuellen Kindesmissbrauch betrifft, so wurde Europol zu Recht zu den Wechselwirkungen zwischen dem Aufgabenbereich des künftigen EU-Zentrums und Europol befragt. Unser Standpunkt ist, dass wir relevante Informationen erhalten müssen, um die EU und ihre Bürger vor schwerer und organisierter Kriminalität, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, zu schützen.“

Von Europol zu Thorn-Lobbyist

Anfang der Woche haben Recherchen das komplexe Lobby-Netzwerk der Chatkontrolle-Befürworter enthüllt. Mittlerweile fordert der Innenausschuss des EU-Parlaments „Klarstellungen und Erklärungen“ von Kommissarin Ylva Johansson. Jetzt können wir berichten, dass auch Europol enge Verbindungen zu den Lobby-Organisationen hat.

Cathal Delaney hat acht Jahre bei Europol in Den Haag gearbeitet. Dort leitete er die Abteilung gegen sexuellen Kindesmissbrauch und arbeitete an einem KI-Projekt zu kinderpornografischen Inhalten. Im Januar 2022 wechselte Delaney den Job. Laut seinem Lebenslauf auf LinkedIn ging er direkt von Europol zu Thorn – der US-Organisation von Ashton Kutcher, die KI-Software zur Bekämpfung von Kinderpornografie entwickelt.

Der Wechsel von EU-Beamten in die Privatwirtschaft muss genehmigt werden, wenn sie im im selben Themenbereich weiterarbeiten. Diese Genehmigung kann verweigert werden, wenn der neue Job „zu einem Konflikt mit den legitimen Interessen der Institution führen könnte“.

Europol hat den Wechsel seines Beamten genehmigt: „Unter Berücksichtigung der von dem Bediensteten vorgelegten Informationen und im Einklang mit dem Europol-Personalstatut hat Europol dem betreffenden Bediensteten gestattet, nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst bei Europol Ende 2021 einen Vertrag mit einem neuen Arbeitgeber abzuschließen“.

Bei ehemaligen Kollegen geworben

Im Juni hat Delaney seine ehemaligen Kollegen bei Europol besucht. Auf Linkedin schrieb er: „Ich habe diese Woche beim jährlichen Experten-Treffen von Europol teilgenommen und im Namen von Thorn über unsere Innovationen zur Unterstützung der Opferidentifizierung berichtet.“

Thorn ist auch im Lobbyregister des Deutschen Bundestags eingetragen. Dort steht Delaney als einer von zwei „Beschäftigten, die Interessenvertretung unmittelbar ausüben“. Cathal Delaney hat auf Fragen zu seinem Rollenwechsel nicht geantwortet.

Laut Lobbyregister hat Thorn im Jahr 2021 ungefähr 7 Millionen Euro erhalten. Die meisten der 28 Stiftungen und zwei Privatpersonen sind anonym. Nur die niederländische Postcode Lotterie ist namentlich genannt. Sie hat im Jahr 2020 1,5 Millionen Euro an Thorn gespendet, um „seinen Ansatz und seine Lösungen weiterzuentwickeln und sie weltweit zu verbreiten, um die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet zu unterbinden“.

Von Europol zu Thorn-Vorstand

Fernando Ruiz Pérez hat neun Jahre bei Europol in Den Haag gearbeitet. Laut seinem Lebenslauf auf LinkedIn leitete er bis vor einem Jahr das European Cybercrime Centre. Anfang 2023 wurde er Vorstandsmitglied bei Thorn. Das postete die Geschäftsführerin von Thorn auf LinkedIn. Europol kommentiert zu Pérez nur: „Der ehemalige Bedienstete hat Europol im April 2022 verlassen.“

Thorn erklärte zu diesen Personalwechseln: „Um sexuellen Kindesmissbrauch in großem Umfang zu bekämpfen, ist eine enge Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden wie Europol unerlässlich. Selbstverständlich respektieren wir jegliche Sperrklauseln beim Wechsel von Mitarbeitern von Strafverfolgungsbehörden zu Thorn. Alles andere wäre ein Verstoß gegen unseren Verhaltenskodex und würde auch die Beziehungen von Thorn zu diesen Behörden beeinträchtigen.“

Im Vorstand von Thorn sitzt auch Neelie Kroes. Sie war 2010 bis 2014 EU-Kommissarin für die Digitale Agenda. Damals erhielt sie in Österreich einen Big Brother Award für das Auto-Überwachungs-System eCall. Heute ist Kroes Unternehmensberaterin, unter anderem für Uber.

Europol und WeProtect

Ernie Allen sitzt ebenfalls im Vorstand von Thorn. Er war 23 Jahre lang Chef der US-Organisation NCMEC. Das „Nationale Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder“ betreibt eine Datenbank mit Missbrauchsdarstellungen. Deren Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten.

Allen ist auch Vorsitzender der WeProtect Global Alliance, die „Experten aus Regierung, Privatsektor und Zivilgesellschaft zusammenbringt, um Kinder vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch im Internet zu schützen“. WeProtect ging aus einer Verschmelzung früherer Initiativen der Europäischen Kommission und nationaler Regierungen hervor. Sie ist Sammelpunkt für Interessengruppen, die die Chatkontrolle unterstützen und Lobbyarbeit finanzieren.

Auch Europol hat mit WeProtect zusammengearbeitet. „Europol kann bestätigen, dass seit Januar 2021 eine Zusammenarbeit mit der WeProtect Global Alliance stattgefunden hat, unter anderem im Rahmen des WeProtect-Gipfels 2022 und eines Expertentreffens, das von Europols Analyseprojekt [zu sexuellem Kindesmissbrauch] organisiert wurde.“


Dieser Artikel ist Teil einer gemeinsamen Recherche mit Balkan Insight, Solomon, Le Monde, Die Zeit, De Groene Amsterdammer, El Diario, Irpi Media. Einige Autoren wurden durch den IJ4EU-Fonds unterstützt, netzpolitik.org nicht. Eine Version dieser Recherche erschien auf Englisch bei Balkan Insight und auf Griechisch bei Solomon.

Hinweis: Die ursprüngliche Version des Artikels erwähnte eine Spende der Deutschen Postcode Lotterie an Thorn, das war im Lobbyregister des Bundestags angegeben. Dieser Eintrag war falsch, tatsächlich kam die Spende von der niederländischen Postcode Lotterie. Thorn hat den Eintrag korrigieren lassen, das Lobbyregister hat die Seite 17:53 korrigiert. Wir haben den entsprechenden Absatz angepasst.


Hier das Protokoll des Besuchs der Kommission bei Europol aus dem PDF befreit:


  • Date: 19 July 2022
  • Directorate-General: Migration and Home Affairs
  • Unit: Security in the Digital Age

Mission report: Visit of DG Monique Pariat to Europol

Participants

DG HOME: DG Monique Pariat, accompanied by █████████████████████ (HoU D4)

Europol:

  • Catherine de Bolle, Executive Director
  • ███████████████████████, Deputy Executive Director Operations
  • ████████████████, Head of European Cybercrime Centre
  • █████████████████, Head of Analysis Project Twins Unit

Summary

Meetings took place in a very positive and constructive atmosphere. It was agreed to continue close cooperation. On the EU Centre on child sexual abuse, participants agreed on the importance and the relevance of the proposal, to keep an eye on resource needs, also on the Europol side, and to work together to communicate on the proposal, including the location of the Centre.

Detailed report

Fight against Child Sexual Abuse

The visit began with a presentation of the work of Europol in combating child sexual abuse, describing a typical investigation and the procedural steps required. The team highlighted the technology savviness of perpetrators in this area and the corresponding need for all MS to have dedicated teams, which not all of them are able to do at the moment. As a result, the team of AP Twins sees different outcomes on the same types of leads, depending on whether MS are able to act on them sufficiently swiftly and competently. ████████████████████████████████████████████

This was followed by a discussion on Europol’s concerns with the EU Centre. ████████████ mentioned the need to ensure sufficient resources also for Europol to match its new tasks both operationally and in terms of the planned shared resources (HR, communications etc.) ████████████████ highlighted three points:

  • the need to ensure that all information received by Member States is also available to Europol („parallel flows“);
  • to have one shared database with different access rights for both agencies;
  • and in case of conflict there would need to be a way to find a solution built into the governance.

███████████████████████████ mentioned that there are other crime areas that would benefit from detection and suggested that these could be included; he also mentioned the need to ensure that law enforcement including Europol can use Al tools for investigations (to avoid possible limitations by the Al Act) and can use intercept. These points should be added to the proposal still. He also mentioned that all data is useful and should be passed on to law enforcement; there should be no filtering by the Centre because even an innocent image might contain information that could at some point be useful to law enforcement. He also mentioned that quality data was needed to train algorithms.

DG Pariat explained that a global assessment of resources needed for the Centre and Europol would need to be taken into account along the negotiation process, especially with a view to the new MFF, and that the governance of the EU Centre would include Europol. She signalled understanding for the additional wishes expressed by ███████████████ but also flagged the need to be realistic in terms of what could be expected, given the many sensitivities around the proposal, and the need to communicate jointly and coherently on this. ███████████████ confirmed that all information the Centre sent to Member States would be shared with Europol in parallel. She highlighted the fact that the reports received by the EU Centre were not linked to any investigation and that it was therefore not possible to also pass on obvious false positives to law enforcement; on quality data, she also inquired about the sandbox to train algorithms that the JRC had helped Europol set up. Europol stated that this would now be picked up again given a new legal basis.

Participants agreed to coordinate closely on communication around the proposal.


Hier die Einschätzung des Europol-Grundrechtsbeauftragten aus dem PDF befreit:


  • Date: 22 June 2023
  • Agency: Europol
  • Department: Fundamental Rights Officer
  • Author: Dirk Allaerts
  • EDOC: 1316771v1
  • Type: Briefing Note

Non-binding opinion on the innovation lab’s project on CSE image classification

1. Aim

In compliance with article 33a 2a of the Europol regulation, Europol’s Executive Director shall authorise any research and innovation project in consultation with the Data Protection Officer and the Fundamental Rights Officer. Under article 41c 2a of the Europol regulation the Fundamental Rights Officer (FRO) advises Europol where he or she deems it necessary or where requested on any activity of Europol without impeding or delaying those activities.

With this briefing note the FRO advises the Executive Director on a proposition of the Innovation Lab to develop a tool for the classification of CSE images and videos. The FRO has been briefed by the innovation lab on the 9th of June and he received a Research Project Initiation Document (R-PID) on the 16th of June and a data protection assessment on the 19th of June.

2. Assessment

The projects aims at developing a tool that uses artificial intelligence (AI) to classify automatically alleged child sexual abuse (CSE) images and videos. To train the tool the project uses CSE and non-CSE material. The CSE content is provided by NCMEC and the member countries, owner of the information, have given their formal consent to use the data for the project. The project will be developed on a dedicated server within a closed network. Further, very limited persons can access the sensible data, except the data scientist, all staff from AP TWINS, who are used to work with this kind of images.

Because of these precautions, the risk of a violation of fundamental rights sensu stricto (this is without the right to privacy – that is covered by the DPO) at the start of the project is very limited or non-existing. Once developed, the use of the tool can cause fundamental rights issues e.g. the violation of the right to defence or a fair trial if the tool delivers false positives or false negatives. The risk for a false positive can be mitigated by a mandatory human intervention. False negatives are a risk for the rights of the victims and possibly also for the right to a fair trial. This will be much more difficult to mitigate because of the huge volumes of data that prevents a detailed human assessment.

Another risk, as for all Al tools, are the biases. This will need special attention during the development phase. Both CSE and non-CSE data used during this phase have to be assessed so all genders, race and ages are sufficiently present to limit the risk the tool will recognise CSE only for specific races or genders.

3. Conclusions and advice

If this project leads to a positive result it can be very beneficiary for law enforcement. The efficiency of an investigation can be enhanced, but also the wellbeing of the police officers investigating these offences can improve. They will be less exposed to horrific and sensible material.

There is no risk for violation of fundamental rights sensu stricto to run the project. Though during the project special attention is needed to avoid the tool will produce biased results, false positives or false negatives.

4. Way forward

This note is sent to the ED as a non-binding advice, and to the innovation lab for their information.


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29.09.2023 12:36

Moderne Technik und Sensorik in privater Hand kann zu einem weiteren Anstieg der Überwachung führen. Jüngstes Beispiel sind Lieferroboter in den USA, deren Videomaterial bei der Polizei landen kann.

Drei Liefer-Roboter stehen vor einem Seven-Eleven-Laden.
Sie mögen ganz süß aussehen, tragen aber zu mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum bei. – Alle Rechte vorbehalten PR Serve Robotics

In Los Angeles fahren kleine Roboter auf Gehwegen etwa für Uber Eats Lebensmittel durch die Gegend. Diese teil-autonomen Roboter, nach dem Willen des Unternehmens Serve Robotics sollen es bald 2.000 Stück sein, filmen permanent ihre Umgebung. Durch eine Recherche von 404 Media kam nun heraus, dass das Videomaterial auch bei der Polizei landen kann.

In mindestens einem Fall übergab die Roboterfirma der Polizei Filmmaterial von einem Versuch zweier Personen, einen solchen Roboter zu stehlen. Aus den E-Mails, die 404 Media vorliegen, geht zudem hervor, dass das Roboter-Unternehmen generell enger mit der Polizei von Los Angeles (LAPD) zusammenarbeiten wollte.

Die Datenschutzerklärung der Maschinen beziehe sich nur auf die Daten von möglichen Lieferkunden, nicht aber auf die Daten der während der Fahrt gefilmten Passant:innen. Die Lieferroboter des Unternehmens waren bislang vor allem durch Spott und Häme bekannt geworden. Einer von ihnen ignorierte beispielsweise eine Polizeiabsperrung.

Das Problem der privaten Überwachung

Die überwachenden Lieferroboter zeigen, dass zunehmend privates Überwachungsmaterial in staatliche Hände gerät. Die Daten aus dem Lieferroboter sind dabei nur eine zusätzliche Quelle. Denn durch moderne vernetzte oder autonome Autos nimmt die private Überwachungsdichte immer weiter zu – und damit auch die Verfügbarkeit solchen Materials bei staatlichen Stellen, die alle verfügbaren Daten für ihre Ermittlungen nutzen.

Paradebeispiel für diesen Ausbau staatlicher Überwachung durch private Akteure ist Amazons Heimüberwachungssystem Ring. Bei diesem installieren sich Privatleute vernetzte Kameras in und um ihre Häuser. Ring kooperierte beim Vertrieb der Kameras eng mit der Polizei, mehr als 2.000 US-Dienststellen von Polizei und Feuerwehr arbeiteten zuletzt mit Rings „Ermittlungsportal“ zusammen.

Schätzungen gehen davon aus, dass heute Millionen Häuser solche Kameras installiert haben. Polizeidienststellen in den USA hatten in den ersten Jahren eine Art privilegierten Zugriff, bei dem sie oftmals mit einer einfachen Anfrage direkt an die Kamerabesitzer an das Überwachungsmaterial gelangen konnten – ohne einen richterlichen Beschluss vorzulegen. Mittlerweile postet die Polizei in der „Ring Neighbors App“ sogenannte „Hilfersuchen“, auf welche die privaten Kamerabesitzer reagieren können.

Auch vorgekommen ist, dass Amazon Ring selbst Daten ohne einen solchen Beschluss weitergegeben hat. Die Bürgerrechtsorganisation EFF bezeichnete Ring als den „größten Überwachungsapparat des Landes“.


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29.09.2023 10:48

Bis zum Ende des Jahrzehnts soll es überall in der EU moderne Netze geben. In ihrem ersten Zwischenbericht zur „Digitalen Dekade“ mahnt die EU-Kommission Deutschland zu einem höheren Tempo. Dabei helfen könnte die „Gigabit-Richtlinie 2.0“, zu der nun erste Zahlen vorliegen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer letzten Rede zur Lage der Europäischen Union. – Alle Rechte vorbehalten European Union 2023 / Mathieu CUGNOT

Die Versorgung mit Glasfaser habe in Deutschland „sehr gravierende Mängel“, mahnt die EU-Kommission in ihrem ersten Bericht über den Stand der sogenannten Digitalen Dekade. Während der EU-Schnitt derzeit bei 56 Prozent liege, seien in Deutschland nur 19 Prozent der Haushalte und Unternehmen über FTTH (Fiber to the Building) angeschlossen, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Kapitel zu Deutschland. Obwohl die Bundesregierung den Glasfaserausbau mit „erheblichen Mitteln“ und einem „klaren Bekenntnis zum bundesweiten Ausbau“ unterstütze, solle Deutschland den Ausbau weiter beschleunigen, fordert die Kommission.

Die „Digitale Dekade“ hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor drei Jahren ausgerufen. Mit der Digitalisierungsstrategie will Brüssel die digitale Transformation in der EU voranbringen. Bis zum Jahr 2030 sollen sich unter anderem die digitale Infrastruktur, digitale Kompetenzen und die Digitalisierung öffentlicher Dienste meßbar verbessern. Als Infrastrukturziele gelten eine vollständige Versorgung mit Glasfaserleitungen bis zum Gebäude sowie eine ebenfalls flächendeckende Abdeckung mit dem 5G-Mobilfunkstandard.

Zum Erfolg gestolpert

Tatsächlich fördert Deutschland seit dem Jahr 2015 den Ausbau mit Milliardenbeträgen, vor allem in Gebieten, die bislang gar nicht oder schlecht versorgt waren. Trotz erheblicher Anlaufschwierigkeiten unter dem Ex-Infrastrukturminister Alexander Dobrindt (CSU) und einem zeitweiligen Antragstopp unter dem derzeitigen Amtsinhaber Volker Wissing (FDP) hat sich die Lage seitdem deutlich verbessert. Zum von Ex-Kanzlerin Angela Merkel einst ausgegebenen Versprechen, bis zum 2018 allen Haushalten eine Versorgung mit mindestens 50 MBit/s garantieren zu können, reicht es zwar bis heute nicht. Immerhin ist der Anteil völlig unterversorgter Haushalte inzwischen in den niedrigen einstelligen Prozentbereich abgesunken.

Vorangekommen ist auch der Glasfaserausbau, wenn auch auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Den letzten Zahlen der Bundesnetzagentur zufolge liegt die Versorgungsquote mit Glasfaser bundesweit bei etwas mehr als 23 Prozent der Haushalte, was grob den Zahlen der EU-Kommission entspricht. Dazu beigetragen haben neben staatlichen auch private Investitionen. Der aktuellen Marktanalyse des Bundesverbands Breitbandkommunikation (Breko) nach haben die Betreiber im Vorjahr rund 13 Milliarden Euro in die Hand genommen, der Löwenanteil davon fließt in moderne Netze. Der Verband sieht Deutschland damit „auf einem guten Weg, die Ziele der Bundesregierung zu erreichen, 2025 die Hälfte und bis 2030 ganz Deutschland mit Glasfaser zu versorgen.“

Erste Zahlen zur „Gigabit-Richtlinie 2.0“

Rätselraten gab es zuletzt bei manchen Betreibern und Kommunen darum, wie sich die neu aufgelegte Gigabit-Förderung auf den Ausbau auswirkt. Nach dem überraschenden Antragstopp im Herbst legte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) im Frühjahr eine neue „Gigabit-Richtlinie 2.0“ vor. Seitdem sind grundsätzlich alle Gebiete förderfähig, die noch nicht gigabitfähig sind. Um ein erneutes Versiegen der Fördertöpfe zu verhindern, ist dies jedoch an bestimmte Kriterien geknüpft.

Nun liegen dazu erste Zahlen vor. Bis zum 1. September haben die Länder insgesamt rund 930 Millionen Euro an Zuschüssen beantragt, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsparteien hervorgeht. Etwas mehr als 190 Millionen Euro davon fließen an sogenannte „Fast Lane“-Projekte, also an Gebietskörperschaften, die einen besonderen Nachholbedarf beim Ausbau haben.

Darum beworben haben sich lediglich drei Bundesländer: Baden-Württemberg erhält rund 11 Millionen Euro, Rheinland-Pfalz knapp 35 Millionen Euro und Niedersachsen ganze 144 Millionen Euro. Bis auf Weiteres dürfte dies die letzte Bundesförderung für Niedersachsen sein. Die Landesregierung gab kürzlich bekannt, künftig keine Landesmittel mehr zuschießen zu wollen, die in aller Regel Voraussetzung für die Bundesförderung sind.

Rund 714 Millionen Euro sind für reguläre Infrastrukturprojekte eingeplant. An der Spitze liegt hierbei Baden-Württemberg (rund 434 Millionen Euro), gefolgt von Sachsen (120 Millionen Euro), Bayern (knapp 96 Millionen Euro) und Hessen (rund 64 Millionen Euro). Andere Länder befinden sich augenscheinlich noch in der Planungsphase: Für Beratungsleistungen wurden fast 35 Millionen Euro bewilligt. Insgesamt will das BMDV im laufenden Jahr 3 Milliarden Euro ausschütten.


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29.09.2023 10:41

Nutzer:innen von Zyklus-Apps sollen auf einfachem Weg erfahren, wie ihre Daten verarbeitet werden. So fordert es die Datenschutzgrundverordnung. Ein Test der Stiftung Warentest und des Verbraucherzentrale Bundesverbands zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist.

Roter Samt
Schwangerschaftsdaten sind für Werbetreibende besonders lukrativ. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com MontyLov

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat untersucht, wie Anbieter von Zyklus-Apps mit dem Auskunftsrecht nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) umgehen. Es gibt Betroffenen das Recht, Informationen darüber zu bekommen, welche Daten über sie gespeichert sind und wie sie verarbeitet werden.

In Zusammenarbeit mit der Stiftung Warentest stellte der vzbv fest, dass viele Anbieter gegen das Auskunftsrecht verstoßen. Die Rechte der Betroffenen werden oft nicht klar benannt. Der Verband fordert, dass die Anbieter die einzelnen Schritte ihrer Datenverarbeitung verständlich und eindeutig formulieren.

Stiftung Warentest suchte die am häufigsten heruntergeladenen Zyklus-Apps aus dem Google Play Store heraus. Daraufhin formulierte der vzbv im Namen von drei Nutzer:innen drei verschiedene Auskunftsersuchen. Der Verband verglich die Antworten der Zyklus-App-Anbieter mit den gesetzlichen Anforderungen.

Keine eindeutige Auskunft

Sie erfragten, ob die Apps Daten verarbeiten und um welche Daten es sich dabei handelt. Ebenso wollte der vzbv wissen, an wen sie sich mit datenschutzrelevanten Fragen wenden können.

Es reagierten 31 von 36 Anbietern auf die Auskunftsersuchen innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist. Von diesen 31 Anbietern gaben zehn keine eindeutige Auskunft über die Datenverarbeitung. Weiter bemängelt der vzbv, dass nur ein Anbieter in allen drei Auskünften die Verarbeitungszwecke zufriedenstellend erläuterte. Die restlichen Zyklus-App-Anbieter formulierten die Antworten vage oder unvollständig.

Stiftung Warentest stellte ebenfalls eine offene Anfrage zur Datenverarbeitung an die Anbieter. Die Stiftung erhielt im Vergleich zu den simulierten drei Nutzer:innen eine inhaltlich umfangreiche und eindeutige Antwort.

Einfache Worte sollen helfen

Der Verband fordert, dass sich die App-Anbieter streng an Artikel 15 der Datenschutzgrundverordnung halten sollen. Sie sollen in einfachen Worten erklären, ob sie Daten verarbeiten und welche Daten sie nutzen. Weiter möchte der Verband, dass auch formlos und umgangssprachlich formulierte Anfragen uneingeschränkt beantwortet werden. Dabei sollen die Apps die vollständigen Rechte der Betroffenen nennen.

Zyklus-Apps sind digitale Gesundheitsangebote. Mit Hilfe der Apps können Nutzer:innen sensible Gesundheitsdaten dokumentieren. Mit diesen Informationen können unter anderem fruchtbare Tage identifiziert werden, die beispielsweise bei der Verhütung oder beim Kinderwunsch unterstützen können.


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28.09.2023 17:49

Jahrelang hat der Spiele-Publisher Valve seine Kund:innen mit Hilfe von Geoblocking daran gehindert, Produkte im Ausland günstiger einzukaufen. Das hat zunächst die EU-Kommission und nun das Gericht der Europäischen Union als Verletzung von EU-Recht gewertet.

Steam-Logo auf einem Controller
Das US-Unternehmen Valve hat Nutzer:innen bestimmter Länder unrechtmäßig ausgesperrt. CC-BY-NC-ND 2.0 Simon Hurrell

„In diesem Land nicht verfügbar“ – das bekamen Nutzer*innen in der Vergangenheit beim Besuch der Spieleplattform Steam des Unternehmens Valve zu sehen, wenn sie Spiele im Internet günstiger kaufen wollten. Diese sind billiger in etlichen Ländern, selbst wenn sie dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) angehören.

Dass dieses Vorgehen rechtswidrig ist, hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) gestern bestätigt. Am Mittwoch wies das Gericht eine Klage des US-Konzerns gegen eine kartellrechtliche Geldbuße in Höhe von 1,6 Millionen Euro zurück. Die Strafe hatte die EU-Kommission vor rund zwei Jahren gegen das US-Unternehmen verhängt.

Streit wegen Geoblocking

Valve hatte in der Vergangenheit sogenanntes Geoblocking gezielt eingesetzt. Damit wollte das Unternehmen verhindern, dass Kund*innen im Ausland günstiger Spiele einkaufen können. Geoblocking soll sicherstellen, dass Nutzer*innen einer bestimmten geographischen Region nur ausgewählte Inhalte zu sehen bekommen. YouTube nutzt Geoblocking etwa dazu, um lokal unterschiedliche Urheberschutzrechte zu wahren.

Allerdings ist Geoblocking seit 2018 innerhalb der EU weitgehend untersagt. Händler aus der EU müssen seitdem überall in der EU zu gleichen Konditionen Zugang zu Waren und Dienstleistungen gewähren, unabhängig davon, in welchen Mitgliedsland der Union die entsprechende Internetseite aufgerufen wird.

Dies hatten Valve und fünf weitere Spiele-Publisher jedoch ignoriert, was schließlich zur kartellrechtlichen Strafe im Jahr 2021 führte. Die EU-Kommission begründete dies mit Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht, zudem habe Valve nicht mit der Kommission zusammengearbeitet. Valve und die Spiele-Publisher hatten das Geoblocking in Absprache untereinander auf der Steam-Plattform betrieben.

Valve bestreitet die Vorwürfe und betonte gegenüber dem Online-Magazin Eurogamer, sie hätten das Geoblocking für Spieleverkäufe auf Steam im Jahr 2015 eingestellt – bevor dies verboten wurde und die Kommission im Jahr 2017 Untersuchungen gegen das Unternehmen einleitete. Auf bestimmte Regionen begrenzt seien lediglich gewisse Aktivierungsschlüssel gewesen, um damit etwa Lizenzauflagen zu erfüllen. Außerdem habe Valve mit der EU-Kommission kooperiert. Eurogamer zufolge werde das Unternehmen gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) berufen.

Gericht weist Klage des Unternehmens ab

Die 2021 eingereichte Klage des IT-Unternehmens, den Beschluss der EU-Kommission für nichtig zu erklären, hat der Gerichtshof gestern abgewiesen. Er bestätigte die Sicht der damaligen Wettbewerbshüterin Margrethe Vestager, dass Valve sich mit fünf anderen Spiele-Publishern – andai, Capcom, Focus Home, Koch Media und ZeniMax – mündlich abgesprochen hatte.

Ziel der Vereinbarung sei es gewesen, Geoblocking zu nutzen, um die jeweils eigenen Gewinne zu erhöhen. Insgesamt ging es um rund 100 PC-Videospiele-Titel unterschiedlicher Genres. Zusammengerechnet beläuft sich die Geldbuße für alle verurteilten Unternehmen auf 7,8 Millionen Euro.

Verweise auf das Urheberrecht ließ das Gericht nicht gelten. Dieses sei dazu gedacht, Inhalte gegen Lizenzzahlungen kommerziell zu verwerten. Es garantiere jedoch nicht, eine „höchstmögliche Vergütung“ zu verlangen oder künstliche Preisunterschiede zwischen abgeschotteten nationalen Märkten zu errichten, wie die Pressemitteilung des Gerichts ausführt:

Das in Rede stehende Geoblocking verfolgte [..] nicht das Ziel, die Urheberrechte der Verleger der PC-Videospiele zu schützen, sondern diente dazu, Paralleleinfuhren dieser Videospiele zu unterbinden und das hohe Niveau der von den Verlegern erhobenen Lizenzgebühren und darüber hinaus der von Valve erzielten Margen zu schützen.

Verlierer Valve

Ohnehin dürfte das Geoblocking – jenseits der rechtlichen Dimension – wenig Erfolg gehabt haben. Derartige Blockaden lassen sich beispielsweise mit Hilfe eines Virtual Private Network (VPN) relativ leicht umgehen. VPNs verschleiern den tatsächlichen Standort von Nutzer*innen.

Auf diese Weise kaufen zahlreiche Nutzer*innen Spiele online im Ausland – nicht nur weil diese dort günstiger sind, sondern auch wenn Spiele hierzulande als jugendgefährdend indiziert sind. Steam untersagt dieses Vorgehen offiziell in seinen Richtlinien. Als Folge sperrt oder löscht der Anbieter betroffene Konten, allerdings nur dann, wenn ihm der Verstoß gegen die eigenen Richtlinien auffällt.

Nach dem Gerichtsprozess steht Valve nun als großer Verlierer dar. Die Geldbuße in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro dürfte das milliardenschwere Unternehmen zwar nur verhältnismäßig wenig schmerzen. Doch hat es sich dazu entschieden, seine Preise in der gesamten Eurozone auf die Euro-Währung umstellen und damit vielerorts zu erhöhen. Die Folge: Die Spieler*innen könnten künftig nicht mehr etwa nach Polen ausweichen, um günstiger einzukaufen, sondern nach Großbritannien, Südamerika oder in die Türkei, wo die Spiele noch günstiger angeboten werden.


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28.09.2023 16:31

Der Druck auf Ylva Johansson wächst. Nach den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu Lobby-Verflechtungen bei der Chatkontrolle fordert der Innenausschuss des Europäischen Parlaments jetzt Aufklärung.

Ylva Johansson
Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson steht nach Enthüllungen über Lobbyverflechtungen unter Druck. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ABACAPRESS

Der Innenausschuss des Europa-Parlaments (LIBE) fordert die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson auf, sich zu den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu äußern. Die Berichte hatten am vergangenen Montag offengelegt, wie IT- und KI-Firmen zusammen mit Stiftungen, NGOs, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen seit Jahren und unter Einsatz von Millionen von US-Dollar für die sogenannte Chatkontrolle lobbyieren.

Durch die Recherchen kam heraus, dass „ein ganzes Geflecht von Lobbyvereinen und Organisationen“, das allein von der Oak Foundation mit mehr als 20 Millionen Euro finanziert ist, enge Verbindungen unter anderem zur EU-Innenkommissarin Ylva Johansson pflegt. Vertreter:innen aus den Organisationen nahmen an Sitzungen teil und berieten die Innenkommissarin. Die wiederum war Protagonistin in einem Werbevideo einer Lobbyorganisation und zeigte sich bei einer PR-Aktion. Zudem ist ein Mitarbeiter von Ylva Johansson Mitglied in einer der Lobbyorganisationen und gleichzeitig im Innenkommissariat für die Chatkontrolle-Verordnung zuständig.

„Mögliche unzulässige Einflussnahme“

Im Brief an die Kommissarin, den wir im Volltext veröffentlichen, bringen die Koordinatoren des LIBE-Ausschusses ihre „Besorgnis“ über die Berichte zum Ausdruck. Die Medienberichte ließen auf eine „mögliche unzulässige Einflussnahme bei der Ausarbeitung des Vorschlags [Anm. der Red.: der Chatkontrolle-Verordnung] schließen“.

Besonders besorgniserregend seien die Behauptungen, dass die im Legislativvorschlag zur Bekämpfung von CSAM vorgesehenen Lösungen angeblich die von diesen Gruppen entworfenen Lösungen wiederholen und damit zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen beitragen, heißt es weiter in dem Brief.

Der Ausschuss bittet deswegen die EU-Innenkommissarin um „Klarstellungen und Erklärungen“ zu den Behauptungen – und fordert eine Antwort innerhalb von einer Woche.

Abstimmung vertagt

Johanssons Chatkontrolle-Verordnung hat derweil auch in den Verhandlungen des EU-Ministerrates einen schweren Stand. Eine kleine Gruppe EU-Staaten lehnt den aktuellen Gesetzestext zur Chatkontrolle ab. Weil die für diesen Monat geplante Abstimmung scheitern würde, hat die spanische Ratspräsidentschaft das Thema vertagt.


Hier der Brief aus dem PDF befreit:


  • Date: 28.09.2023
  • From: Juan Fernando López Aguilar, LIBE Committee
  • To: Ylva Johansson, Commissioner for Home Affairs

Dear Commissioner Johansson,

I am writing on behalf and by mandate of LIBE coordinators to express concern about recent reports published in press outlets that allegedly indicate a conflicts of interest with regard to the proposal for a Regulation laying down rules to prevent and combat child sexual abuse (2022/0155(COD)).

Those aforementioned media reports point to alleged close working relationships between the European Commission and a broad network of tech companies, foundations, security agencies and PR agencies, including Thorn and WeProtect Global Alliance, indicating possible undue influence in the drafting of the proposal.

Of particular concern are the allegations that the solutions laid down in the legislative proposal to fight CSAM supposedly replicate the solutions designed by those groups, contributing thereby to furthering their economic interests.

Therefore, I would kindly request to receive clarifications and explanations concerning the allegations described above. The LIBE coordinators would appreciate to receive a reply at your earliest convenience and ideally no later than one week from the receipt of this letter.

We consider that your cooperation and timely reaction to this request would benefit transparency and accountability, values that are at the heart of the European Union’s actions.

Yours sincerely,

Juan Fernando López Aguilar


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28.09.2023 13:32

Die meistbesuchte Pornoseite der Welt behauptet, mehr als 160 Millionen Nutzer:innen in der EU zu haben – jeden Monat. Damit müsste XVideos bald die striktesten Auflagen der EU einhalten, wie sie sonst nur für „Very Large Online Plattforms“ wie Google oder Amazon gelten. XVideos bereitet sich schon mal auf die „Herausforderung“ vor.

Ausschnitt aus einem Bildschirm, darauf zu sehen ist schräg der Schriftzug XVideos
Laut eigenen Angaben bei weitem groß genug, um als Tech-Riese zu gelten: XVideos.com. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Pond5 Images

Muss die größte Pornoplattform der Welt bald Risikoberichte verfassen, ob Nutzer:innen dort geschlechtsbasierte Gewalt droht oder ob ihre Psyche Schaden nimmt? Muss sie Wissenschaftler:innen hinter die Kulissen schauen lassen? Oder gleich die EU-Kommission? Genau das könnte bald mit der Pornoseite XVideos passieren, einer der meistbesuchten Seiten im Internet mit Sitz in Tschechien.

Denn die neuen Regeln der Europäische Union für Online-Plattformen gelten nicht nur für die erwartbaren großen Tech-Konzerne: TikTok, Facebook, Google oder Amazon. Die Verordnung mit dem Namen Digitale-Dienste-Gesetz trifft alle Plattformen, die mehr als 45 Millionen Nutzer:innen pro Monat in der EU haben. Solche Riesen gelten dann als „VLOP“, das steht für „Very Large Online Plattform“. Und XVideos? Ist laut eigener Aussage ein solcher Riese. 160 Millionen Nutzer:innen im Monat sollen die Seite aufrufen.

So steht es inzwischen auf der Webseite des Pornoriesen. Wer dort vorbei scrollt an Videos von Stiefmüttern, Amateur-Handjobs und Mädchenpartys „ohne Höschen“ bekommt nicht nur einen Eindruck von den Phantasien der EU-Bevölkerung. Ganz unten im Kleingedruckten findet sich auch die beachtliche Selbsteinschätzung: „dass XVideos mit Stand vom 17. Februar 2023 durchschnittlich 160 Millionen monatliche Nutzer des Dienstes in der Europäischen Union hat, berechnet als Durchschnitt über den Zeitraum der letzten sechs Monate.“

Weit über der Schwelle

160 Millionen. Die Zahl ist beeindruckend. Das würde bedeuten, dass jede dritte Person im Staatenverbund mindestens einmal im Monat auf XVideos.com vorbeischaut. Es hieße auch, dass XVideos um Größenordnungen über der Schwelle von 45 Millionen Nutzer:innen liegt. Die Seite stünde damit in einer Liga mit Google oder Apple und müsste die striktesten Auflagen erfüllen, die im Gesetz vorgesehen sind.

Unter anderem müssen diese Plattformen Risikoberichte erstellen, ob auf ihren Seiten Schaden droht für Grundrechte wie die Meinungsfreiheit. Ob Kinder und Jugendliche dort ausreichend vor Werbung und Überwachung geschützt sind. Ob Wahlen manipuliert werden könnten und ob illegale Inhalte schnell genug wegmoderiert werden. Es ist die breitbeinige Ansage der EU an die Konzerne: Wenn ihr hier weiter mitmachen wollt – das sind die Regeln, nach denen ihr spielen müsst.

Allerdings reicht die Selbsteinschätzung nicht. Die EU-Kommission muss Plattformen erst offiziell zu „VLOPs“ erklären. Diese haben anschließend vier Monate Zeit, um Auflagen zu erfüllen. Bisher hat die EU-Kommission in einer ersten Runde Ende April rund 20 Namen bekannt gegeben: Google, Facebook, TikTok sind dabei, auch Onlinehändler wie Amazon und Zalando. Zu XVideos: kein Wort.

XVideos: „Wir werden unser Bestes tun“

Bis Februar hatten die Konzerne eigentlich Zeit, ihre Zahlen bekannt zu geben. Diese Frist hat XVideos damals gerissen. Aus der Branche hatten nur Pornhub und YouPorn Zahlen genannt – beide gehören zum kanadischen Konzern Aylo (ehemals Mindgeek) und liegen laut eigenen Angaben unter der Schwelle. Pornhub soll 33 Millionen Nutzer:innen in der EU haben, Youporn 7 Millionen. Auf XHamster, betrieben von HammyMedia, sollen es ebenfalls nur 33 Millionen sein.

Gerne würde man von der EU-Kommission jetzt mehr erfahren: Warum wird XVideos trotz der spektakulären Selbstauskunft bislang nicht als Riese gehandelt? Ist das noch geplant? Und wenn ja, wann? Doch die Kommission hält sich bedeckt. Ein Sprecher schreibt, man könne zu diesem Zeitpunkt nicht spekulieren. Soviel dann aber doch: Die Kommission würde ständig auf die Nutzerzahlen schauen, die die Plattformen ab jetzt regelmäßig alle sechs Monate bekannt geben müssten – und sie habe auch „alternative Mittel zur Überwachung der Zahl der aktiven Nutzer“. Es sei also „gut möglich, dass die Kommission in Zukunft weitere Dienste als sehr große Online-Plattformen bezeichnen wird.“

XVideos selbst geht dagegen längst davon aus, dass es bald in der Liste geführt wird. Das schreibt das Unternehmen auf unsere Presseanfrage hin. Genauere Auskunft,  wie man sich darauf vorbereitet, gab es keine. Man arbeite noch daran, die Regeln zu verstehen, es gäbe viele Verpflichtungen. Das Unternehmen sei im Austausch mit Beamt:innen der EU-Kommission. „Ich kann nur sagen, dass es eine Herausforderung sein könnte, alles rechtzeitig zu erledigen“, schreibt der anonyme Absender von der XVideos-Mailadresse, „da wir trotz der vielen Nutzer eine relativ kleine Struktur sind. Wir können nicht alles gleichzeitig machen, aber wir werden unser Bestes tun.“ Die Verordnung enthalte auch „einige gute Dinge“.

Hinter XVideos steht die tschechische Holding WGCZ. Sie gehört laut dortigem Handelsregister zum größten Teil dem Franzosen Stéphane Pacaud, er gilt als äußerst medienscheu. Sein Gesicht oder seine Stimme kennt niemand.

So wenig tut XVideos gegen sexualisierte Gewalt

 

Ein eigener Zusatz zur Verordnung, der speziell für Pornoseiten striktere Regeln durchsetzen sollte, hat es nicht ins Gesetz geschafft. Er sollte die Verbreitung von so genannter bildbasierter Gewalt verhindern. Gemeint sind etwa intime Bilder und Videos, die ohne die Zustimmung der Gezeigten auf Pornoseiten hochgeladen werden. Das Problem ist bekannt, die Plattformen unternehmen nur halbherzig etwas dagegen. Einige Betroffene hatten sich deswegen für den Zusatz stark gemacht.

Allerdings hätte er bedeutet, dass Nutzer:innen nicht mehr anonym auf den Seiten hätten posten dürfen, sie hätten sich mit ihrer Handynummer registrieren müssen. Das hatte unter anderem bei Sexarbeiter:innen und Pornodarsteller:innen für Kritik gesorgt. Sie fürchten um die Sicherheit ihrer Daten.

Wie regelt die Verordnung Pornos?

Sollte XVideos tatsächlich als VLOP gehandelt werden, wäre das eine Premiere. Das erste Mal müsste eine große Pornoplattform die Auflagen der neuen Verordnung erfüllen. Aber welche der vielen Risiken, die Plattformen bekämpfen sollen, wären überhaupt relevant für eine Seite, die nicht etwa politische Botschaften oder Beauty-Tipps präsentiert, sondern Menschen beim Sex in allen erdenklichen Anordnungen?

Probleme wie Desinformation oder Wahlmanipulation machen einer Pornoseite vermutlich weniger zu schaffen. „Systemische Risiken“, das sind in so einem Fall vor allem bildbasierte Gewalt. Illegale Inhalte sind in diesem Kontext etwa Aufnahmen von Minderjährigen oder Bilder, die ohne Erlaubnis hochgeladen werden. Gefakte Nacktbilder. Oder Videos, die eine mögliche Vergewaltigung zeigen. Solche Risiken müsste XVideos benennen – und auch Lösungswege präsentieren.

Doch genau diese Probleme machen XVideos ohnehin schon zu schaffen. Wie soll man auf einer Seite, auf der jede Person Inhalte hochladen darf, erkennen, wie alt Darsteller:innen sind? Was echt ist und was Phantasie? Schlagworte wie „rape“ oder „under 18“ hat XVideos schon lange blockiert. Trotzdem finden sich auch dazu leicht zahlreiche Videos auf der Seite.

„Ungerecht, dass die Last bei der Betroffenen liegt“

Beim Bundesverband der Frauenberatungstellen und -notrufe bff ist man trotzdem sehr dafür, dass Pornoplattformen unter die strikten Regeln fallen. „Die Aufnahme von Plattformen wie XVideos in diese Kategorie würde Betroffenen von bildbasierter sexualisierter Gewalt helfen“, sagt Elizabeth Ávila González, die zum Thema arbeitet. „Porno-Plattformen sind oft Schauplätze für nicht einvernehmliche Veröffentlichungen und Verbreitung von intimem Bild- und Videomaterial.“ Eine erhebliche psychische und emotionale Belastung für die Betroffenen.

Die Einstufung als VLOP würde bedeuten, dass die Plattform nicht nur solche systemischen Risiken einschätzen müsste. Sie müsste auch selbst Maßnahmen vorschlagen, wie die Risiken abzufedern seien und in jährlichen Berichten darüber Rechenschaft ablegen, wie sie solche Inhalte moderieren. Ein neuer Einblick hinter die Kulissen. Zum ersten mal hätte man dadurch auch Statistiken über das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt auf solchen Plattformen, sagt Ávila González.

Sollten die Maßnahmen außerdem von der EU-Kommission für zu lasch befunden werden, könnte sie XVideos dazu verdonnern, mehr zu tun und schneller zu handeln. „Insbesondere in Fällen von bildbasierter sexualisierter Gewalt geht es häufig darum, die Inhalte so schnell wie möglich von der Plattform zu entfernen und Täter-Accounts zu sperren, um Re-Uploads und somit auch eine weitere Verbreitung zu verhindern.“

Einfache Lösungen gebe es hier nicht, warnt Ávila González. Oft müssten Grundrechte gegeneinander abgewogen werden. „Trotzdem ist es wichtig, dass Plattformen in die Verantwortung genommen werden, wenn dort Gewalt stattfindet. Es ist ungerecht, dass aktuell die komplette Handlungslast bei den Gewaltbetroffenen liegt.“


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28.09.2023 09:55

Schon drei Mal ist die Wahl eines neuen Datenschutzbeauftragten in Sachsen-Anhalt krachend gescheitert. Nach dem jüngsten Wahldebakel setzen CDU, SPD und FDP nun auf Zweckoptimismus. Die Opposition ist skeptisch – und bietet erneut Hilfe an.

Ein leerer Stuhl
Seit Ende 2020 unbesetzt: der Stuhl des Datenschutzbeauftragten von Sachen-Anhalt (Symboldbild) CC-BY-SA 2.0 Thomas

Es ist Ende September 2023 und Sachsen-Anhalt hat immer noch keine:n Landesbeauftragte:n für Datenschutz. Seit bald drei Jahren ist die Stelle unbesetzt. Wir haben uns im Landtag umgehört: Eine Lösung der Krise scheint nicht in Sicht.

Auf den Tag drei Monate ist es heute her, dass die Regierungsparteien CDU, SPD und FDP trotz komfortabler Mehrheit im Landtag mit ihrem Kandidaten scheiterten. Inzwischen hat Daniel Neugebauer seine Kandidatur auch offiziell zurückgezogen. Der Jurist aus Halle war im Juni von der CDU als einziger Kandidat für das Amt vorgeschlagen worden und erhielt in drei Wahlgängen nicht die erforderliche Mehrheit.

Damit war nicht nur der dritte Versuch innerhalb von fast sechs Jahren gescheitert, einen neuen Landesdatenschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt zu wählen. Das Wahlchaos offenbarte auch tiefe Risse innerhalb des Regierungsbündnisses. Und, so interpretierten es viele, in der CDU Sachsen-Anhalt. Denn SPD und FDP versicherten, geschlossen für den gemeinsamen Kandidaten gestimmt zu haben. Abweichler in der CDU-Fraktion hatten schon die Besetzungsversuche in den Vorjahren torpediert.

Ein Abgeordneter der CDU-Fraktion rief auf Twitter gar nach Neuwahlen für das Land, die Opposition sprach von einer Regierungskrise. Dass Teile der CDU, die im Landtag mit Abstand die größte Fraktion stellt, offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD sind, ist kein Geheimnis.

„Der Ball liegt bei der CDU“

„Es ist unser ausdrückliches Ziel, den Posten des Datenschutzbeauftragten so schnell wie möglich, noch in dieser Legislaturperiode, zu besetzen“, betont nun auf Anfrage SPD-Sprecher René Wöfler. Die Regierungsparteien würden seit 2018 über die Neubesetzung der Stelle reden. „Der Datenschutz verdient eine würdige Vertretung, das muss uns allen bewusst sein.“ Das Thema sei „eine von mehreren drängenden Fragen innerhalb der Koalition“. Allerdings liege das Vorschlagsrecht bei der CDU.

Auch Andreas Silbersack, Vorsitzender der FDP-Fraktion, betont: „Der Ball liegt bei der CDU-Fraktion“. Er sei zuversichtlich, „dass die Deutschlandkoalition in Sachsen-Anhalt auch in dieser Frage weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten und zu einer guten Lösung für unser Land kommen wird“. Man müsse der CDU nach der Absage von Daniel Neugebauer „nun auch Zeit geben, um eine fachlich geeignete Person für dieses wichtige Amt ausfindig zu machen, um dann natürlich schnellstmöglich einen neuen Landesdatenschutzbeauftragten im Landtag zu wählen“.

Vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag Guido Heuer heißt es: „Mit Bedauern haben wir den Rückzug von Herrn Dr. Daniel Neugebauer als Kandidaten für das Amt des Datenschutzbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt am Freitag zur Kenntnis genommen.“ Leider habe der Landtag diesem „ausgesprochen geeigneten Fachmann in einer geheimen Wahl die Zustimmung verweigert.“

Was genau im Juni eigentlich schiefgelaufen ist, dazu äußert sich Heuer nicht. „Die Vermutungen zu den Gründen sind reine Spekulation.“ Die CDU-Landtagsfraktion werde zum gegebenen Zeitpunkt einen neuen Kandidaten präsentieren, so der Fraktionsvorsitzende.

„Die CDU hat sich und den Datenschutz aufgegeben“

Nach besonderer Eile klingt das alles nicht. Deutlich skeptischer äußert sich deshalb die Opposition. „Die ganze Führungslosigkeit der CDU Sachsen-Anhalt zeigt sich in ihrer Unfähigkeit, erfolgreich Mehrheiten für einen Datenschutzbeauftragten zu organisieren“, schreibt uns der Grünen-Innenpolitiker Sebastian Striegel. Er habe wenig Hoffnung, dass sich in dieser Wahlperiode daran etwas ändere. „Die CDU hat sich und das Thema Datenschutz aufgegeben.“

Auch Henriette Quade von der Linkspartei spart nicht mit Kritik. „Das Verhalten der Regierungskoalition ist schlichtweg verantwortungslos“, so die Innenpolitikerin. „Diese in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Cyberkriminalität immer wichtiger werdende Stelle über Jahre hinweg unbesetzt zu lassen und innerhalb der Koalition vereinbarte Wahlen aus parteipolitischem Kalkül zu torpedieren, zeigt, dass es um den Datenschutz in Sachsen-Anhalt nicht gut bestellt ist.“

Sie könne nicht erkennen, dass sich seit dem Wahldebakel etwas an der Lage geändert habe. Dabei wäre die Lösung eigentlich einfach, so Quade weiter: „Die Koalition wählt den von ihr selbst vorgeschlagenen Bewerber.“ Durch das „unwürdige Gebaren“ werde es jedoch immer schwieriger, geeignete Kandidat:innen zu finden.

Bislang keine Lösung in Sicht

Direkt nach der gescheiterten Wahl Neugebauers hatten die Grünen öffentlich angeboten, der Koalition aus der Patsche zu helfen und gemeinsam einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden.

Auch Henriette Quade von der Linkspartei betont nun auf Anfrage: „Wir verschließen uns keinem Gesprächsangebot.“ Es wäre an den Koalitionsfraktionen, auf die demokratischen Oppositionsfraktionen zuzugehen, einen neuen Vorschlag zu machen und um Mehrheiten zu werben. Dabei dürfe es jedoch nicht nur um die Besetzung der Stelle gehen, sondern brauche „dringend eine Stärkung der Behörde insgesamt, zum Beispiel durch mehr Personal, um die immer komplexer werdenden Aufgaben erfüllen zu können“.

Bisher scheint es jedoch keine Bewegung in diese Richtung zu geben. Wir haben CDU-Fraktionschef Heuer gefragt, ob er auf das Angebot der Opposition eingehen wolle. Darauf erhielten wir keine Antwort. Auch Andreas Silbersack von der FDP gibt sich bei dem Thema schmallippig. „Die Äußerungen der Grünen haben wir zur Kenntnis genommen.“ Es brauche jedoch erst einen neuen Personalvorschlag der CDU, dann könnte man Gespräche mit den anderen Fraktionen führen.

Offener für die Idee zeigt sich die SPD. Es sei vollkommen klar, dass die Wahl des Datenschutzbeauftragten eine breite parlamentarische Mehrheit brauche, so Parteisprecher René Wölfer. „Gespräche mit anderen demokratischen Fraktionen können dazu beitragen, diese zu erreichen.“

Die nächsten Landtagswahlen finden voraussichtlich im Frühjahr 2026 statt. Das sind noch zweieinhalb Jahre. Vorausgesetzt, dass die Koalition bis dahin hält.


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27.09.2023 18:16

In Frankreich sind vergangene Woche mehrere Journalist*innen von Sicherheitsbehörden durchsucht und verhört worden. Es geht um geleakte Geheimdokumente. Französische Medien kritisieren die Ermittlungen scharf und fordern besseren Quellenschutz. Auf EU-Ebene wird ein solches Gesetz gerade verhandelt.

Drei Menschen, die bei einer Demonstration vor einem Brunnen stehe und Schilder hochhalten. Auf einem steht auf französisch "Journalisten verhaftet, Demokratie in Gefahr"
Die Festnahme der Investigativjournalistin Arianne Lavrilleux hat in Frankreich zu Protesten geführt. Journalist*innen sehen den Quellenschutz in Gefahr und sprechen von Einschüchterung. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ABACAPRESS

In Frankreich gehen die Sicherheitsbehörden gegen investigative Journalist*innen vor. Vergangene Woche wurden gleich in mehreren Fällen Journalist*innen verhört und durchsucht. Ziel sind anscheinend auch die Hinweisgeber*innen. Reporterorganisation kritisieren: Die Einschüchterungen hätten System in Frankreich. Ein europäisches Gesetz könnte Journalist*innen und ihre Quellen zukünftig besser schützen, doch dagegen sperren sich EU-Länder.

Im Fokus der aktuellen Debatte steht die französische Journalistin Ariane Lavrilleux. Sie deckte 2021 für das Magazin „Disclose“ auf, dass der französische Militärgeheimdienst DRM mit der ägyptischen Regierung zusammenarbeitete und dabei auch indirekt an Hinrichtungen beteiligt war.

Journalistin kommt erst nach 39 Stunden frei

Wegen dieser Recherche wurde die Journalistin am Dienstag festgenommen. Beamte des französischen Inlandsgeheimdienstes durchsuchten ihre Wohnung sowie ihre digitalen Geräte. Anschließend wurde Lavrilleux auf einer Polizeiwache verhört und kam erst nach 39 Stunden wieder frei. Die Sicherheitsbehörden sind wohl auch auf der Suche nach Lavrilleuxs Quelle. Dieser drohen laut Süddeutscher Zeitung wegen Landesverrats bis zu sieben Jahre Haft.

Das Verhör wurden von Protesten in mehreren französischen Städten begleitet. Am Tag nach der Freilassung veröffentlichten viele französische Medien eine gemeinsame Erklärung, darunter LeMonde und Radio France. Darin schreiben Sie: „Die Verhaftung unserer Kollegin […] stellt einen beispiellosen Angriff auf den Schutz des Quellengeheimnisses von Journalisten dar, das nach den Worten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen der ‚Eckpfeiler der Pressefreiheit‘ bildet.“

Einer Demokratie unwürdig

Auch die Tageszeitung Libération unterzeichnete die Erklärung. Gleich am selben Tag gerieten drei ihrer eigenen Journalist*innen ins Visier. Die Polizei lud Ismaël Halissat, Fabien Leboucq und Antoine Schirer vor, weil diese zu einem Vorfall im Jahr 2022 recherchierten. Dabei hatte ein Polizist einen 23-Jährigen in seinem Auto erschossen. Auch diese Recherche berief sich auf interne Dokumente.

Laut Libération wirft die Staatsanwaltschaft den Journalisten „Verletzung des Untersuchungsgeheimnisses“, „Hehlerei bei der Verletzung des Untersuchungsgeheimnisses“ und „öffentliche Diffamierung aufgrund der Funktion oder der Eigenschaft eines Beamten der öffentlichen Gewalt“ vor. Liberation bezeichnete die Verfahren als „eines demokratischen Landes unwürdig“.

Umstrittener Paragraph im Presserecht

Für etliche französische Journalist*innen sind diese Einschüchterungsversuche keine Einzelfälle. Verfahren gegen Journalist*innen hätten in den letzten Jahren zugenommen, so die gemeinsame Erklärung. „Diese gravierende Situation […] muss alle Personen mobilisieren, denen die Informationsfreiheit in Frankreich am Herzen liegt.“ Die Veröffentlichung von internen Informationen sei täglicher Teil der Arbeit, man tue dies mit Verantwortung, anhand ethischer Richtlinien und im alleinigen Interesse, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Journalist*innen warnen: „Ohne Garantien für den Schutz unserer Quellen ist die Ausübung unseres Berufs selbst gefährdet.“

Die französische Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert angesichts der Festnahmen eine Reform des französischen Pressegesetzes. Dessen Bestimmungen zum Quellenschutz seien 2010 erheblich aufgeweicht worden, so RSF. Seitdem dürften Ermittler*innen die Vertraulichkeit der Quellen von Journalist*innen „direkt oder indirekt“ verletzen, wenn ein „übergeordnetes Erfordernis im öffentlichen Interesse“ besteht. RSF kritisiert diese Formulierung als zu vage und fordert eine Änderung.

Streit zu Quellenschutz in der EU

Doch statt einer Reform in Frankreich könnte diese Gesetzeslage bald auch auf EU-Ebene gelten. Denn eine praktisch wortgleiche Passage („overriding requirement in the public interest“) findet sich auch im Entwurf des EU-Ministerrats zum European Media Freedom Act (EMFA). Dies wäre eine weitreichende Ausnahme des Schutzes von Journalist*innen vor Durchsuchungen, Überwachung und Staatstrojanern.

Das kritisiert Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär des Europäischen Journalistenverbandes EJF, anlässlich der Festnahme von Lavrilleux: „Die französische Regierung, die gerade in skandalöser Weise den Entwurf der europäischen EMFA-Verordnung geändert hat, um die Bespitzelung von Journalisten zu legalisieren, ist ein Beispiel für eine pressefeindliche Politik und für das Recht der Bürger auf Zugang zu Informationen.“

Doch so weit ist es noch nicht, auch das EU-Parlament kann beim EMFA mitreden. Die Abgeordnete Petra Kammerevert sagt auf Anfrage von netzpolitik.org: „Der Fall von Ariane Lavrilleux zeigt eindrucksvoll, wieso der EMFA eine Verbesserung des Schutzes von Journalist*innen liefern muss.“ Laut der SPD-Abgeordneten schütze die Parlaments-Version des EMFA Journalist*innen beispielsweise vor Inhaftierungen, wenn diese darauf abzielten, Zugang zu journalistischen Quellen zu erzwingen.

Anders als der Entwurf des Ministerrats sieht das Parlament derzeit auch keine Ausnahmen aus Gründen der Gefährdung der nationalen Sicherheit vor. „Die französische Polizei hätte nach den zur Abstimmung stehenden Regeln vermutlich nicht so handeln können, um an die Quellen von Frau Lavrilleux zu kommen. Genau das war aber das Ziel der Verhaftung“, so Kammerevert.

Das Parlament beschließt seine Position voraussichtlich am 3. Oktober. Dann wäre der Weg frei für den Trilog, also die Verhandlungen von Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten über den finalen Text.

 


Hier die mit Deepl übersetzte gemeinsame Erklärung französischer Medien zur Festnahme von Arianne Lavrilleux.


(veröffentlicht am 21.09.23 um 13.14 Uhr)

Ariane Lavrilleux in Polizeigewahrsam: „Die Ausübung des Journalistenberufs selbst ist in Gefahr“, warnen Journalistengesellschaften

Die Journalistin des investigativen Mediums „Disclose“ wird strafrechtlich verfolgt, weil sie Informationen über die Operation „Sirli“ veröffentlicht hat, die ab 2015 von der französischen Armee im Auftrag der ägyptischen Machthaber durchgeführt wurde.

Wir, Journalisten und Mitglieder von Journalistengesellschaften, unterstützen die unabhängige Journalistin Ariane Lavrilleux, die am Dienstag, den 19. und Mittwoch, den 20. September in Polizeigewahrsam genommen und deren Wohnung fast zehn Stunden lang durchsucht wurde, nachdem sie 2021 mit dem investigativen Medium Disclose Enthüllungen über Operationen der französischen Armee in Ägypten gemacht hatte. Die Untersuchung betraf die Operation „Sirli“, die ab 2015 von der Direktion für Militärische Aufklärung (DRM) im Auftrag der Diktatur von Marschall Abdel Fattah Al-Sissi durchgeführt wurde.

Die Verhaftung unserer Kollegin im Rahmen einer gerichtlichen Untersuchung, die wegen „Gefährdung des nationalen Verteidigungsgeheimnisses“ und „Enthüllung von Informationen, die zur Identifizierung eines geschützten Agenten führen können“ aufgrund einer Beschwerde des Armeeministeriums eingeleitet wurde, stellt einen beispiellosen Angriff auf den Schutz des Quellengeheimnisses von Journalisten dar, das nach den Worten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einen der „Eckpfeiler der Pressefreiheit“ bildet.

Diese gravierende Situation, die sich vor dem Hintergrund der Zunahme von Verfahren gegen Journalisten in den letzten Jahren (Vorladungen durch die Generaldirektion für innere Sicherheit, versuchte Durchsuchung einer Redaktion usw.) abspielt, muss alle Personen mobilisieren, denen die Informationsfreiheit in Frankreich am Herzen liegt. Wir appellieren daher an die Ministerin für Kultur und Information, Rima Abdul Malak, und an den Präsidenten der Republik, Emmanuel Macron, die Stärkung des Quellenschutzes für Journalisten und die Unabhängigkeit der Redaktionen zu einem vorrangigen Thema der „Etats généraux de l’information“ zu machen, die am 3. Oktober eröffnet werden sollen.

Unsere Arbeit besteht darin, täglich in jeder unserer Redaktionen und in der Vielfalt unserer Redaktionslinien Informationen zu veröffentlichen, die auf vertraulichen Dokumenten beruhen, die allen Arten von Geheimnissen unterliegen, einschließlich des „Verteidigungsgeheimnisses“, wenn die Themen die Armee und den Verteidigungssektor betreffen. Wir tun dies in Verantwortung, indem wir die Sensibilität des Materials, das wir sammeln, abwägen, ohne Sensationslust und unter Einhaltung der ethischen Regeln, die unseren Beruf regeln, in dem alleinigen Bestreben, die Öffentlichkeit über Themen von allgemeinem Interesse zu informieren. Ohne Garantien für den Schutz unserer Quellen ist die Ausübung unseres Berufs selbst gefährdet.

Unterzeichner: die Journalisten- und Redakteursgesellschaften von AFP, Arrêt sur images, BFM-TV, Challenges, Courrier international, Epsiloon, Franceinfo. fr, FranceTVinfo, France 3 rédaction nationale, France Télévisions rédaction nationale, Indigo Publications, L’Express, L’Humanité, L’Informé, L’Obs, L’Usine nouvelle, La Tribune, La Vie, LCI, Le Figaro, Le Monde, Le Parisien, Le Point, Les Echos, Libération, M6, Marianne, Mediapart, NRJ, Paris Match, Public Sénat, Premières Lignes, Radio France, RFI, RMC, RTL, Sud Ouest, Télérama, TF1, 60 Millions Konsumenten sowie der Verband Profesion: pigiste.


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27.09.2023 17:12

Deutschland soll beim Hinweisgeberschutzgesetz die EU-Vorgaben nicht ausreichend umgesetzt haben, moniert das Whistleblower-Netzwerk. Deswegen reicht die Nichtregierungsorganisation nun Beschwerde bei der EU-Kommission ein.

Deutschland droht ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren, sollte die EU-Kommission der Beschwerde des Whistleblower-Netzwerks folgen. CC-BY-NC 2.0 Focal Foto

Seit dem Sommer schützt Deutschland endlich Menschen vor Schikanen, die Missstände in Unternehmen oder Behörden melden. Damit hatte die Ampelkoalition mit reichlicher Verspätung die EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern aus dem Jahr 2019 umgesetzt.

Doch offenbar nicht gut genug, meint das Whistleblower-Netzwerk (WBN). Die Nichtregierungsorganisation hat nun eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Insgesamt gebe es zwölf Mängel in der deutschen Variante des Gesetzes, kritisiert das WBN. Hinauslaufen könnte das auf ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren – schon jetzt läuft eine Klage der EU-Kommission gegen Deutschland, weil es mit der Umsetzung so lange gedauert hatte.

Kaum Hilfe für Mobbingopfer

Dabei war die Beschwerde zumindest teilweise absehbar. Das Hinweisgeberschutzgesetz enthält etwa keinen Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden. Gemeint sind damit Nachteile, die Whistleblower:innen durch Mobbing oder sonstige Drangsalierung am Arbeitsplatz erleiden können. Diese EU-Vorgabe fiel dem Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat zum Opfer. Der war notwendig geworden, weil den Unions-geführten Ländern der Entwurf der Ampelkoalition zu weit ging. Sie hatten das Gesetz in der Länderkammer blockiert. Bereits damals hatte das WBS darauf hingewiesen, dass die Regelungslücke nicht mit der EU-Richtlinie vereinbar ist.

Ebenfalls in der Kritik steht die Formulierung im deutschen Gesetz, die Hinweisgebende zunächst zu internen Meldestellen im Unternehmen leiten soll. Dabei sollen externe Meldestellen, wie sie etwa das Bundesamt für Justiz inzwischen betreibt, internen gleichgestellt sein. Dieser Satz sei eine „reine Unverschämtheit“, sagt WBN-Vorsitzende Annegret Falter zu netzpolitik.org. Er widerspreche „vollkommen dem eindeutigen Willen des EU-Gesetzgebers, den Hinweisgebenden die volle Wahlfreiheit zu geben.“

EU-weite Mindeststandards

Schon bei den Verhandlungen auf EU-Ebene gab es um diese Regelung heftigen Streit. Damals drängten die EU-Länder, darunter Deutschland, auf die Bevorzugung interner Meldestellen – bevor Whistleblower:innen Informationen über Missstände an Behörden oder gar Medien weitergeben. Damit durchsetzen konnte sich der EU-Ministerrat aber letztlich nicht.

Mit der EU-Richtlinie reagierte die Kommission auf eine Reihe aufsehenerregender Fälle wie die Panama-Papers oder Luxleaks. Gemeinsam mit den Enthüllungen kam dabei zum Vorschein, dass es keinen EU-weiten Schutz von Whistleblower:innen gab. Auch Deutschland zählte zu den Ländern, in denen Hinweisgebende immer wieder Repressalien ausgesetzt waren, wenn sie Verfehlungen ans Licht bringen wollten.

Novelle könnte Vertragsverletzungsverfahren verhindern

Unklar bleibt, wie die EU-Kommission auf die Beschwerde reagieren wird. Die deutsche Politik könnte einem etwaigen Vertragsverletzungsverfahren zuvorkommen, indem sie das Gesetz anpasst. Dies hatten die Ampelparteien bereits in Aussicht gestellt, wenn auch nicht in allen nun kritisierten Punkten. Nachbesserungsbedarf gibt es unter anderem bei der Meldung gravierender Missstände unterhalb der Schwelle eindeutiger Rechtsverstöße, wie es die Regierung im Koalitionsvertrag versprochen hatte.

Dennoch sieht es derzeit nicht danach aus, dass das Gesetzespaket unmittelbar aufgeschnürt wird. Zwar greife die Beschwerde die Richtung auf, die sich der Bundestag gewünscht hatte, etwa die Aufnahme von immateriellem Schadensersatz, so der Grünen-Abgeordnete Till Steffen zu netzpolitik.org. Nach den langwierigen und harten Verhandlungen mit dem Bundesrat „halte ich es aber für sehr unwahrscheinlich, dass das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch einmal angefasst wird“, sagt Steffen. Das könnte sich ändern, sollte es zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommen.

In jedem Fall müssten wohl auch die Unionsparteien im Bundesrat mitspielen, da das Gesetz zustimmungspflichtig ist. Dies dürfte sich jedoch schwierig gestalten: Schließlich waren es vor allem konservative Politiker:innen in der damaligen großen Koalition, welche die rechtzeitige Umsetzung der EU-Richtlinie in der vergangenen Legislaturperiode verhindert hatten. Gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden setzten sie sich dafür ein, die Belastungen für die Wirtschaft möglichst klein zu halten.


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27.09.2023 12:22

Um Erfolgsquoten des Konzerns zu erreichen, führen o2-Shops ihre Kund:innen offenbar regelmäßig hinters Licht. Das berichtet ein anonymer Insider in einem Branchen-Medium. o2 weist die Verantwortung von sich. Allerdings zeigt sich hier ein Muster, das wir bereits vor zwei Jahren aufgedeckt haben.

Das blaue Logo von o2 an der Außenwand eines Hauses
Um den Verbraucherschutz bei o2 steht es laut einem Shop-Betreiber schlecht – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Michael Gstettenbauer

Mitarbeiter:innen von o2-Shops führen offenbar regelmäßig Kund:innen hinters Licht, um Provisionen von dem Telekommunikationskonzern zu kassieren. Das berichtet die Website inside-digital.de unter Berufung auf einen anonymen Betreiber eines o2-Shops. Eine weitere Quelle soll die Vorwürfe bestätigt haben.

Zu den windigen Methoden der o2-Shops gehört es demzufolge, neue SIM-Karten zur Aktivierung im Geschäft zunächst in ein betriebseigenes Handy einzulegen. „Sie nehmen die SIM-Karte des Kunden und sagen, sie müssen sie im Nebenzimmer aktivieren“, berichtet der anonyme Shop-Betreiber. Dort melden die Mitarbeiter:innen die Telefonnummer dann bei der „Mein o2″-App an, ohne dies den Kund:innen mitzuteilen. In der Anwendung können Kund:innen unter anderem ihren Vertragsdetails regeln, neue Produkte bestellen oder an Werbeaktionen teilnehmen.

Mitarbeiter:innen greifen Provisionen und Rabatt-Codes ab

Die Mitarbeiter:innen setzen hierbei offenbar immer das gleiche Standard-Passwort. Da die Kund:innen nichts von der Registrierung wissen, ändern sie das Passwort in der Regel nicht. Theoretisch könnten die Shop-Mitarbeiter:innen also auch später noch die Vertragsdaten der Kund:innen einsehen und verändern. Die einzelnen Shops und Mitarbeiter:innen werden von o2 mit Provisionen von bis zu 600 Euro pro Quartal belohnt, wenn sie eine hohe App-Registrierungsquote vorweisen können.

Dem Bericht zufolge nutzen die Mitarbeiter:innen die App auch, um heimlich „Family and Friends“-Rabatt-Codes ihrer Kund:innen abzugreifen. In einem ausgeklügelten System verwenden die Shops die Rabatt-Codes offenbar dafür, um bei anderen Vertragsabschlüssen Vergünstigungen zu erhalten. Diese Vergünstigungen reichen sie laut der Quelle jedoch nicht an die Kund:innen weiter, sondern nutzen diese stattdessen, um den Kund:innen ohne deren Wissen zusätzliche Dienste wie etwa o2 TV zu verkaufen. Bei hohen Abschlussquoten zahlt o2 den Shops hier ebenfalls Provisionen.

o2 weist Verantwortung von sich

Außerdem erschleichen sich viele Shops laut inside-digital positive Google-Bewertungen. So würden Rabatte beim Kauf von Zubehör oder bei der Erstattung verlorener SIM-Karten an Fünf-Sterne-Bewertungen geknüpft. Zudem nähmen die Shop-Mitarbeiter:innen ohne Wissen der Kund:innen positive Bewertungen mit deren Telefon vor. Dem Insider-Bericht zufolge setzt das o2-Management die Shop-Betreiber:innen unter großen Druck, damit diese gute Google-Bewertungen erhalten.

Der anonyme Shop-Betreiber macht deutlich, dass o2 die Mitarbeiter:innen durch unrealistische Quotenvorgaben zu dem Betrug an den Kund:innen geradezu anstachele. Gegenüber inside-digital weist der Konzern jedoch jegliche Verantwortung von sich. “Ein solches Vorgehen verstößt ganz klar gegen unsere Datenschutzbestimmungen, zu denen unsere Shop-Mitarbeiter:innen regelmäßig geschult werden“, zitiert das Magazin eine Unternehmenssprecherin. Dies gelte insbesondere bei einer Registrierung ohne das Wissen der Kund:innen.

Die Vorwürfe gegen o2 stehen allerdings in Einklang mit Recherchen von netzpolitik.org aus dem Jahr 2021. Damals hatten zahlreiche Shop-Betreiber:innen offengelegt, mit welchen Tricks sie ihren Kund:innen weitreichende Einwilligungen beim Datenschutz abluchsen. Auch damals verwiesen die Shop-Betreiber:innen auf Quotenvorgaben des Telekommunikationskonzerns, die ohne einen solchen Schwindel nicht zu erreichen seien.


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27.09.2023 08:34

Das Bundeskriminalamt verweigert Auskunft über seinen Kaufvertrag zum Staatstrojaner NSO Pegasus. Obwohl der Kauf des berüchtigten Trojaners allgemein bekannt ist, will die Polizei geheimhalten, ob es überhaupt einen Vertrag gibt. Das nehmen wir nicht hin und verklagen das BKA.

Frau lötet unter Mikroskop.
Das BKA wirbt mit Jobs in der IT. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten BKA

Deutsche Polizisten dürfen immer öfter IT-Geräte mit Staatstrojanern hacken und überwachen, zuletzt jede Woche. Dazu nutzen sie diverse Produkte, neben ihrer Eigenentwicklung RCIS auch FinFisher FinSpy und NSO Pegasus. Deutsche Ermittler hackten mit Pegasus die rechtsterroristische „Patriotische Union“. Unbekannte hackten mit Pegasus russische Exil-Journalisten in Berlin.

Pegasus ist der wohl berüchtigtste Staatstrojaner der Welt. Nach den Enthüllungen des Pegasus-Projekts arbeitete das EU-Parlament diverse Skandale in einem eigenen Untersuchungsausschuss auf. Die USA haben den Einsatz von Pegasus verboten und Sanktionen gegen das Unternehmen NSO verhängt, weil ihr Staatstrojaner die nationale Sicherheit und die internationale Ordnung gefährdet. Deutschland belohnt NSO weiter mit Steuergeld.

Weder bestätigen noch dementieren

Wir wollen Einblick in den Vertrag des Bundeskriminalamts mit NSO. Also haben wir das Dokument auf FragDenStaat beantragt. Das ist bereits über ein Jahr her. Erst hat das BKA unseren Antrag pauschal abgelehnt, dann unseren Widerspruch monatelang verzögert. Im Januar hat das BKA unseren Widerspruch zurückgewiesen. Dagegen wehren wir uns. Gemeinsam mit FragDenStaat und dem Anwalt Nico Sander verklagen wir das BKA.

Das ist bereits unsere dritte Klage gegen das BKA wegen Staatstrojaner-Verträgen. Vorher hatten wir den Vertrag mit FinFisher FinSpy sowie Änderungen zu diesem Vertrag angefordert. In beiden Fällen hatte das BKA zu viele Stellen geschwärzt und musste nach Gerichtsurteilen die Schwärzungen rückgängig machen.

Diesmal weigert sich das BKA sogar, den Vertrag mit einigen Schwärzungen herauszugeben. Die Polizeibehörde will weder bestätigen noch dementieren, ob sie überhaupt mit NSO spricht: „Bereits die Fragestellung, ob das BKA in Verbindung mit Kaufverhandlungen in Kontakt mit der NSO Group steht oder nicht, unterliegt einem besonderen Informationsschutz, so dass eine jegliche Stellungnahme zu diesem Punkt zu versagen ist.“

BKA setzt Pegasus ein

Die Öffentlichkeit weiß, dass das BKA Pegasus gekauft hat. Medien haben detailliert über Verkaufsgespräche, Anforderungen, Zeitverlauf, Preis und Einsätze berichtet. Dass das BKA Pegasus nutzt, steht auf Wikipedia und im Bericht des Pegasus-Untersuchungsausschusses. Im Deutschen Bundestag sagte der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch: „Das Bundeskriminalamt setzt Pegasus ein.“

Das BKA und ihre Anwälte vertreten jedoch den Standpunkt, wonach das BKA bisher nicht offiziell und öffentlich bestätigt hat, Pegasus gekauft zu haben. Dass die BKA-Vizepräsidentin Martina Link laut Tagesschau den Kauf im Innenausschuss des Bundestages bestätigt hat, zählt demnach nicht, das war ja nicht öffentlich und eingestuft.

Staaten trotzen Erklärungsdruck

Die Polizei befürchtet „nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen“, wenn sie zugibt, Pegasus zu besitzen. Demnach haben sich die europäischen Sicherheitsbehörden gegenseitig „zur Vertraulichkeit über Details der informationstechnischen Überwachung“ verpflichtet. Gäbe Deutschland zu, Pegasus zu haben, würde das „Erklärungsdruck“ auf andere EU-Staaten aufbauen, „sich ebenfalls zu konkret eingesetzten Produkten zu erklären“.

Wir sind der Auffassung, dass ein Vertrag zwischen einem Unternehmen und einer deutschen Behörde ein rein nationaler Sachverhalt ist. Andere Staaten sind davon nicht betroffen. Auch das Verhalten anderer Staaten widerspricht der These des BKA: Polen, Ungarn und Spanien haben offiziell zugegeben, Pegasus zu haben. Der Pegasus-Untersuchungsausschuss nennt weitere Länder. Der Hersteller NSO gab öffentlich zu, dass 14 EU-Staaten Pegasus gekauft haben. Die Staaten dürfen darüber auch reden.

Die Begründung des BKA ist über den konkreten Fall hinaus relevant. Wenn Behörden Anträge wegen eines „Erklärungsdrucks“ auf andere Staaten ablehnen, „würde der Sinn und Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes ad absurdum geführt“. Das könnte auch weitere Sachverhalte betreffen, die in Deutschland und anderen Staaten relevant sind, zum Beispiel „Impfstofflieferungen, Umgang mit Versammlungen zum Ukraine-Krieg oder Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele“.

BKA zitiert früheren Autor

Das BKA behauptet weiter, dass die Herausgabe des Vertrags die innere und öffentliche Sicherheit gefährdet. Wenn Kriminelle wissen, dass das BKA Pegasus besitzt, können sich „mögliche Betroffene“ darauf einstellen und dagegen schützen. Dazu verweisen die BKA-Anwälte auf den Golem-Artikel „Was hilft gegen den Staatstrojaner?“

Wir halten es für weltfremd, dass Kriminelle die Information auf Tagesschau, Wikipedia, Bundestag und EU-Parlament nicht verwenden und erst aktiv werden, wenn der Produktname auch auf bka.de steht.

Pegasus nutzt öffentlich unbekannte Schwachstellen, die eine Infektion ohne Interaktion der Zielpersonen erlauben. Dagegen kann man sich nicht schützen, sagt auch das Bundesamt für IT-Sicherheit. Allgemeine IT-Sicherheitsmaßnahmen trifft man jedoch gegen alle Arten von Schadsoftware, egal ob Staatstrojaner oder nicht.

Unser früherer Mitautor Moritz Tremmel, den das BKA zitiert hatte, bestätigt unsere Sicht: „Der von mir auf Golem.de veröffentlichte Artikel ‚Was hilft gegen den Staatstrojaner‘ gibt einen allgemeinen Überblick, wie man sich vor Staatstrojanern schützen kann. Der Artikel konstatiert: ‚Letztlich handelt es sich beim Staatstrojaner schlicht um eine Schadsoftware, die von Behörden eingesetzt wird. Entsprechend unterscheiden sich die Installationswege nicht sonderlich von gewöhnlicher Malware.'“

Zu kritisch über Staatstrojaner

Der erste Satz des Informationsfreiheitsgesetzes lautet: „Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.“

Die BKA-Anwälte begründen ihre Ablehnung aber konkret mit meiner Person: „Der Kläger ist Mitglied im Chaos Computer Club und hat sich in der Vergangenheit sehr kritisch zu ‚Staatstrojaner‘-Software geäußert. Als Beleg überreichen wir einen Bericht über eine Rede des Klägers als Angehöriger im EU-Untersuchungsausschuss.“

Ja, ich war im November Sachverständiger im PEGA-Untersuchungsausschuss. Die Anhörung war öffentlich und wurde gestreamt, meine Rede haben wir in Volltext veröffentlicht. Der Ausschuss hat auch das BKA eingeladen, drei Mal. Aber das BKA wollte nicht im EU-Parlament aussagen und hat die Einladung ausgeschlagen, drei Mal.

Transparenz nicht erfolgreich

Dass das BKA derart mauert, ist neu. Vor zehn Jahren haben haben wir enthüllt, dass das BKA den Staatstrojaner Gamma FinFisher gekauft hat. Damals hat uns die Polizei offiziell bestätigt: „Wir haben die Software.“ Die Polizeibehörden des Bundes haben auch offiziell bestätigt, Hacking-Tools von Cellebrite, ElcomSoft und anderen Firmen zu nutzen.

Diese Offenheit bezeichnet das BKA jetzt als Fehler. „Die frühere Transparenzstrategie hat aus Sicht des BKA nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht, so dass das BKA im Einklang mit der Gesetzeslage generell keine Auskünfte zu taktischen und technischen Fähigkeiten mehr gibt.“

Auch dieses Argument weist unsere Klageschrift zurück: „Zuletzt weisen wir darauf hin, dass die Beantwortung von IFG-Anträgen nicht nach Maßgabe einer wie auch immer gearteten ‚Transparenzstrategie‘ der Beklagten zu erfolgen hat, sondern allein nach Maßgabe des Gesetzes.“

Ampel will Transparenz sicherstellen

Pikant ist zudem, dass uns das BKA unter einem CSU-Innenminister und Großer Koalition Informationen gegeben hat, die das BKA unter SPD-Innenministerin und Ampel-Regierung jetzt verweigert. Dabei enthält der Koalitionsvertrag ein eigenes Kapitel über Transparenz: „Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken.“ Im Kapitel zu Staatstrojanern steht: „Transparenz und effektive Kontrolle durch Aufsichtsbehörden und Parlament werden wir sicherstellen.“

Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz hat den Koalitionsvertrag mitgeschrieben. In der Opposition bezeichnete er Pegasus als „Traum aller Diktaturen und Albtraum für den Rechtsstaat“. Er kritisierte die Informationspolitik der Großen Koalition als Maulkorb und drohte damit, die Bundesregierung zu verklagen.

Wir haben Konstantin von Notz gefragt, wie er die Ablehnung unseres Antrags durch das BKA bewertet. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende erklärt allgemein: „In welchem Umfang in Deutschland Überwachungssoftware von kommerziellen Anbietern zum Einsatz kommt, ist eine aus freiheitsrechtlicher und rechtsstaatlicher Perspektive sehr relevante Frage. Wir setzen uns seit langer Zeit dafür ein, dass Parlament und Öffentlichkeit in angemessenem Umfang über diese Sachverhalte in Kenntnis gesetzt werden. Das tun wir weiterhin mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.“

Auf unsere Nachfrage, ob und wie er sich in unserem konkreten Fall dafür eingesetzt hat, „dass Parlament und Öffentlichkeit in angemessenem Umfang über diese Sachverhalte in Kenntnis gesetzt werden“, hat er nicht geantwortet.

Behörden sollen Bürgern dienen

Update:

Die EU-Abgeordnete Sophie in ’t Veld war Berichterstatterin des PEGA-Untersuchungsausschusses. Heute berichtet sie im Digitalausschuss des Bundestags. Zu unserer Klage erklärt sie:

Es ist irre, dass das Unternehmen NSO, die israelische Regierung und Drittstaaten mehr über die Operationen unserer Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden wissen, als die europäischen Bürger. Es ist an der Zeit, dass unsere Behörden sich daran erinnern, dass sie den Interessen ihrer Bürger dienen sollen. Hoffentlich bringt die Klage mehr Transparenz.


Hier unsere Klageerwiderung in Volltext:

Hier klicken, um den Inhalt von media.frag-den-staat.de anzuzeigen


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26.09.2023 19:01

Obwohl das Land kein Teil der EU ist, stimmt der Nationalrat des Schweizer Parlaments gegen die Chatkontrolle. Das Votum macht klar, dass die geplante Verordnung nicht nur EU-Bürger*innen betrifft. Auch in anderen europäischen Staaten stimmte das Parlament gegen den Plan der EU-Kommission.

Die Schweizer Abgeordnete Judith Bellaiche sieht die überwältigende Mehrheit des Nationalrats hinter sich – und fordert die Regierung auf, sich gegen die EU-Chatkontrolle zu stemmen. – Alle Rechte vorbehalten www.swico.ch / Schweizer Nationalrat / Montage: netzpolitik.org

Der Nationalrat des Schweizer Parlaments will das eigene Land vor der sogenannten EU-Chatkontrolle beschützen. Mit überwältigender Mehrheit fordert der Nationalrat die Regierung auf, die Einwohner*innen der Schweiz vor der Überwachung ihrer privaten digitalen Kommunikation zu schützen und das Recht auf Privatsphäre durchzusetzen. Es ist nicht das einzige Parlament in Europa, in dem es Widerstand gegen das umstrittene EU-Vorhaben gibt.

Chatkontrolle widerspricht Schweizer Verfassung

Im letzten Jahr hatte die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag eingebracht, der sexuellen Missbrauch an Kindern bekämpfen soll. Dieser sieht vor, dass private Anbieter zum Scannen privater Kommunikation verpflichtet werden können. Die Verordnung betrifft alle Unternehmen, die ihre Dienste in der EU anbieten. Dies ist ein Grund für den Antrag im Nationalrat des Schweizer Parlaments. „Niemand wird sich dieser Kontrolle entziehen können, auch wir in der Schweiz nicht, denn jeder Dienst, der irgendwie in der EU tätig ist, wird von dieser Kontrollpflicht erfasst“, sagte die Abgeordnete Judith Bellaiche in der Rede zu ihrem Antrag.

In diesem Antrag heißt es weiter: „Rund um die Uhr soll der gesamte elektronische Verkehr unbescholtener Menschen mit einer noch zu definierenden Technologie überwacht werden. Darin fallen ganz alltägliche Nachrichten, Familien- und Ferienfotos, private und intime Videos, aber auch der vertrauliche Austausch zwischen Unternehmen, Mitarbeitenden und Kunden.“ Dies widerspreche dem in der Schweizer Verfassung verankerten Recht auf Schutz der Privatsphäre. „Der unverhältnismäßige und andauernde Eingriff in unsere persönliche Freiheit lässt sich durch nichts rechtfertigen, auch nicht durch die legitime Bekämpfung von Kinderpornografie“, so die Grünliberale Bellaiche.

Den Antrag hat der Nationalrat am Montag mit einer Dreiviertel-Mehrheit angenommen (144 Ja-Stimmen, 24 Nein-Stimmen, 21 Enthaltungen). Damit stimmte die Mehrheit der Nationalrät*innen gegen die Position der Schweizer Regierung, dem Bundesrat. Dieser hatte auf die laufenden Verhandlungen in der EU zur Chatkontrolle verwiesen. Außerdem behauptet der Bundesrat: „Eine kontinuierliche, anlasslose staatliche Überwachung digitaler Kommunikation ist im Vorschlag der EU-Kommission nicht vorgesehen.“ Tatsächlich sieht der Kommissionsentwurf vor, dass nach einer behördlichen Anordnung alle Nachrichten bestimmter Anbieter automatisch gescannt werden, um zu entdecken, ob sie Darstellungen von Kindesmissbrauch enthalten oder ein Versuch von Grooming sind.

Der Nationalrat ist die große Kammer des Schweizer Parlaments. Damit der Antrag („Motion) für die Schweizer Regierung bindend wird, muss auch die andere Kammer, der Ständerat, zustimmen.

Österreich und Niederlande

Auch in anderen europäischen Parlamenten gab es Widerstand gegen die „Verordnung zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“.

In Österreich hat der EU-Unterausschuss des Nationalrats Ende 2022 eine Stellungnahme zur Chatkontrolle verabschiedet. Darin fordern die Parlamentarier*innen den Ausschluss von allgemeinen Überwachungspflichten für Online-Dienstanbieter sowie den Schutz von Ende-Zu-Ende-Verschlüsselung. Die Stellungnahme ist für die österreichische Regierung prinzipiell bindend.

In den Niederlanden hat die zweite Kammer – gegen den Willen der zuständigen Ministerineine Erklärung verabschiedet, die Client-Side-Scanning verbietet, also das Scannen von Textnachrichten oder Dateien auf dem Endgerät der Nutzerin, bevor sie verschlüsselt werden.

Einigung der EU-Länder steht noch aus

Beide Regierungen lehnen den bisherigen Kompromissvorschlag des EU-Ministerrats ab, ebenso Polen. Auch Deutschland konnte dem Beschluss nicht zustimmen. Da dieser keine sichere Mehrheit fand, verschwand das Thema kurzerhand von der Tagesordnung des zuständigen Ministerrats. Für die weiteren Verhandlungen im Rat ist nun entscheidend, ob die Allianz der Staaten gegen die Chatkontrolle hält.

Hinweis (27.09.): Nach einem Hinweis der Schweizer Journalistin Adrienne Fichter auf Twitter haben wir den Text präzisiert, um klar zu machen, dass der Antrag nur in einer der beiden Kammern beschlossen wurde.


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26.09.2023 18:01

Delikte im Bereich „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“ nehmen nach Polizeiangaben erheblich zu. Ein Großteil der Verdächtigen ist allerdings noch minderjährig – und sie werden immer jünger. Dagegen startet das BKA nun eine Informationskampagne.

Screenshot aus dem Kampagnenvideo #dontsendit des BKA.

Das Bundeskriminalamt (BKA) und die Polizei Brandenburg haben heute die Kampagne „#dontsendit“ gestartet. Sie soll Kinder und Jugendliche und deren Eltern aufklären und Heranwachsende davon abhalten, selbsterstellte kinder- oder jugendpornografische Bilder zu verbreiten. Wenn sie Nacktbilder erstellen und verschicken, können sie sich leicht strafbar machen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte in einem Statement, solche Nacktaufnahmen seien „keineswegs ein Schulhofspaß“.

Das verwendete Kampagnen-Schlagwort #dontsendit steht für den englischen Satz „Don’t send it“, der mit „Verschick es nicht“ übersetzt werden kann. Zu Beginn der Kampagne hielt sich die Verbreitung des Hashtags in den sozialen Netzwerken allerdings noch in engen Grenzen. Verweise auf #dontsendit gab es etwa bei Twitter (jetzt X) kaum, beim Instagram-Kanal des BKA verzeichnete das Kampagnenvideo nach ein paar Stunden immerhin mehr als 30.000 Aufrufe.

Im Rahmen der Kampagne verweist das BKA auf aktuelle Zahlen im Deliktsbereich „kinder- und jugendpornografische Inhalte“: Über vierzig Prozent der Tatverdächtigen sind unter 18 Jahre alt, wie die polizeiliche Kriminalstatistik 2022 zeige. Als eine Ursache für diese hohe Zahl verweist die Polizeibehörde darauf, dass Teenager Nacktaufnahmen von sich selbst erstellen und teilen.

CSAM

Wir berichten seit Jahren unter dem Stichwort CSAM (Child Sexual Abuse Material) über politische Vorhaben im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen von Kindern. Unterstütze unsere Arbeit!

Dass die polizeiliche Kriminalstatistik für Delikte im Bereich „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“ eine erhebliche Zunahme verzeichnet, ist bekannt: Von 42.500 Verdächtigen im Jahr 2022 sind mehr als 17.500 noch minderjährig. Weniger bekannt ist allerdings, dass gleichzeitig die festgestellten Tatverdächtigen jünger geworden sind.

Sich leicht strafbar machen

Die aktuelle Kampagne knüpft an bestehende Informationsangebote an, die bereits aufklären, dass sich Minderjährige mit selbst erstellten Bildern leicht strafbar machen können. Auch ihre Eltern sind betroffen, beispielsweise bei gemeinsam genutzten Computern oder Cloud-Diensten. Das BKA liefert nun in seiner neuen Vorbeugungskampagne neben zwei Videos auch rechtliche Erläuterungen: „Wenn Kinder, also Personen unter 14 Jahren, Nacktbilder oder -videos von sich fertigen, handelt es sich hierbei um sog. kinderpornografische Inhalte.“

Sowohl die Herstellung als auch der Versand, die Weiterleitung und der Empfang, genauso wie die Speicherung sind nach Paragraph 184b Strafgesetzbuch strafbar. Seit dem Sommer 2021 handele es sich dabei um ein Verbrechen, das mit mindestens einem und bis maximal zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sei. Die Kinder bleiben allerdings straflos, wenn sie noch nicht strafmündig sind, also vor vollendetem 14. Lebensjahr. Ist diese Altersgrenze erreicht, drohen bei vermeintlichen Späßen im Klassen-Chat erhebliche Strafen.

Aufklärungsquote ist hoch

Bei strafbaren Nacktbildern oder -videos gehen die Vorstellungen und die Realität weit auseinander. Das fängt schon bei der Aufklärungsquote bei der Verbreitung strafbarer Darstellungen an: Anders als viele meinen, ist sie bei kinderpornografischen Delikten sehr hoch: Sie liegt bei 92,5 Prozent.

Bei „kinderpornografischen Inhalten“ assoziieren zudem viele Menschen schwerste Gewalthandlungen von Erwachsenen an Kindern, die weithin als verachtenswert betrachtet werden. Dass Teenager mit Gleichaltrigen Bilder von sich austauschen, wird eher nicht damit verbunden. Denn die politischen Diskussionen in diesem Deliktsbereich drehen sich um ganz andere Tätergruppen als um 15-Jährige, die sich selbst nackt fotographieren. Dass unter den Verdächtigen in Wirklichkeit auch sehr viele Teenager sind, ist zu wenig bekannt, da es medial wenig dargestellt wird.

Dass Tatverdächtige ab 15 Jahren und noch jünger tatsächlich ins Visier von Ermittlungen geraten, zeigt der aktuelle Fall einer Razzia wegen Missbrauchsdarstellungen in Hessen. Auch die Polizei Dortmund hat im Jahr 2021 gegen 400 Jungen und Mädchen ermittelt, manche erst zwölf Jahre alt.

Schwer zu ermitteln sind die betroffenen Minderjährigen dabei nicht, denn sie wissen oft nicht, dass sie sich strafbar machen, und versuchen deswegen auch nicht, digitale Spuren zu verwischen. Angesichts der hohen Zahl von tatverdächtigen Teenagern sagen selbst die Strafverfolgungsbehörden, dass die drastischen Konsequenzen der Gesetzesänderung von 2021 zu weit gehen und dringend korrigiert gehören. Nach dem Fall einer Lehrerin, die wegen eines strafbaren Nacktvideos einer Schülerin vor Gericht angeklagt ist, hatte Justizminister Marco Buschmann angekündigt, das Gesetz umgehend reformieren zu wollen.


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26.09.2023 12:11

Eine Forschungseinheit zur Propaganda-Abwehr bei der Bundeswehr hat die Aktionskünstler vom Zentrum für politische Schönheit beobachtet und daraus Maßnahmen für das Militär abgeleitet. Wir veröffentlichen die Fallstudie jetzt im Volltext.

Ein Computer, auf dem die Webseite des Zentrums für politische Schönheit zu sehen ist.
Mit einer Webseite suchten die Aktionskünstler:innen von Rechtsradikalen entwendete Waffen. – Alle Rechte vorbehalten Screenshot: ZPS

Die Bundeswehr hat am Beispiel einer Aktion der Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit (ZPS) eine Fallstudie erstellt, in der Empfehlungen geben werden, wie sie in Zukunft mit Desinformationen umgehen soll. Die Beobachtung einer Kunstaktion war außerhalb und innerhalb der Bundeswehr umstritten. Wir veröffentlichen jetzt die Fallstudie als komplettes Dokument (PDF).

Mit der Aktion „Wo sind unsere Waffen?“ wollten die Künstler:innen im Jahr 2020 auf Probleme mit Rechtsradikalen bei der Bundeswehr aufmerksam machen. Sie starteten eine offenkundig satiregetränkte Rückgabeaktion für vermisste Waffen der Truppe.

Im Rahmen der Aktion stellten sie einen Waffen-Sammelcontainer vor dem Bundeskanzleramt auf, veröffentlichten Schreiben an Dienststellen der Bundeswehr und gaben sich als Militärischer Abschirmdienst aus.

Künstler:innen im Visier der Bundeswehr

Schon während der Aktion gerieten die Künstler ins Visier der Bundeswehr selbst, welche die Gruppe als „feindliche Propaganda“ einstufte und monatelang jeden ihrer öffentlich zugänglichen Schritte im Internet beobachtete. Das Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (ZOpKomBw) wertete ihre Erkenntnisse innerhalb eines „Concept Development and Experimentation (CD&E) Forschungsvorhabens“ mit dem Namen „Propaganda Awareness“ in einer Fallstudie aus. Das Forschungsprojekt bestand von 2019 bis 2022.

Die Studie bezeichnet die Kunstaktion als „Guerilla-Marketingaktion mit Elementen einer Informationsoperation“. Sie stuft die Aktion als „medienwirksam“ ein und identifiziert unterschiedliche „PR-Instrumente“ des ZPS, darunter die Webseite, Plakate oder die Inhalte in sozialen Medien.

Laut Business Insider hat die Bundeswehr die Aktionskünstler:innen systematisch beobachtet „und jeden Schritt der Gruppe im Internet analysiert“. Es habe sich dabei um öffentlich zugängliche Daten und keine Personendaten gehandelt, antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei (PDF) zum Thema.

Die Künstler vom ZPS halten es für skandalös, dass die Bundeswehr mit ihrer „Abwehr“ gegen zivilgesellschaftliche Initiativen im Inland vorgehe, so der „Eskalationsbeauftragte“ der Künstlergruppe, Stefan Pelzer. „Für eine bessere Resilienz wäre es sicher hilfreicher, wenn das Führungspersonal der Truppe in Zukunft in der Lage wäre, ihr eigenes Logo von einer schlechten Parodie zu unterscheiden.“

Die Erkenntnisse aus der Beobachtung der Kunstaktion flossen in die Fallstudie ein, in deren Rahmen auch die Reaktion der Bundeswehr analysiert und mögliche Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden.

Langsame Reaktion kritisiert

In der Fallstudie wird vor allem die langsame Reaktionszeit der Bundeswehr von mehr als 72 Stunden kritisiert. Die Bundeswehr habe zudem Soldaten nicht informiert und in unterschiedlichen Formaten zum Thema kommuniziert. Dabei habe es keinerlei Handlungsempfehlung für die Soldat:innen gegeben, wie diese auf Social Media reagieren sollen. Zudem habe es weder Folgekommunikation noch regionale Kommunikation zur Information der Bevölkerung gegeben.

Die Einheit bemängelt in der Fallstudie die fehlende Information der Soldat:innen und befürchtet eine Verunsicherung in der Bevölkerung und einen potenziellen Imageschaden. Sie stufte die Kunstaktion mit einem „Kernrisiko von 2“ ein, das laut der Fallstudie einen „mittelbaren Handlungsbedarf“ – nämlich „Bewusstmachen & Informieren“ auslöst. Bei einem Kernrisko ab 4 sieht die Bundeswehr einen „unmittelbaren Handlungsbedarf“, der „Direkte Abwehr“ erfordert.

Ausschnitt aus der Fallstudie
Die Bundeswehr stufte anhand verschiedener Kriterien die Aktion der Künstler:innen als „Kernrisiko 2“ ein. - Screenshot: Bundeswehr

Als Abwehr schlug die Propaganda-Einheit in ihrer Fallstudie folgende Gegenmaßnahmen vor:

  • eine deutlich sichtbare Warnmeldung im Intranet der Bundeswehr,
  • die Einrichtung eines Channels „Achtung Desinformation“ im Bw-Messenger,
  • Direktnachrichten für einen Empfängerkreis der Führungsebene
  • sowie Warnungen vor Desinformation in der Reservisten-App.

Wir haben beim Bundesverteidigungsministerium gefragt, inwiefern die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen aus der Fallstudie umgesetzt wurden und wie oft diese seitdem eingesetzt wurden. Ein Pressesprecher des Ministeriums beantwortete die gestellten Fragen nicht, sondern verwies auf die Antworten einer kleinen Anfrage (PDF) und auf mehrere allgemeine Artikel über Desinformation auf der Webseite Bundeswehr.de. Diese Hinweise geben keine Antwort auf die Umsetzung der Gegenmaßnahmen. Die Authentizität des Dokuments wurde bei dieser Presseanfrage nicht bestätigt.

Strafrechtliche Ermittlungen wegen Aktion

Im April dieses Jahres kam heraus, dass die Berliner Staatsanwaltschaft wegen der Kunstaktion strafrechtlich gegen das Zentrum für politische Schönheit vorgeht. Hierbei hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Gründer und Leiter der Gruppe, Philipp Ruch, erhoben. Das Verfahren ist weiter anhängig, die Bürgerrechtsorganisation GFF wie auch erfahrene Strafverteidiger wunderten sich über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen eine Satire-Aktion.

Es ist nicht das erste Mal, dass das ZPS ins Visier staatlicher Stellen gerät. 2019 ermittelte die Thüringer Staatsanwaltschaft gegen die Aktionskunst-Gruppe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, stellte die Ermittlungen jedoch nach ihrem Bekanntwerden wieder ein. 2022 kam es zu Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Aktion „Flyerservice Hahn“, bei der das ZPS sich als falscher Flyer-Verteilservice ausgegeben hatte und so an Millionen von Flyern der rechtsradikalen AfD gelangt war – die dann nie verteilt wurden.


Dokument


  • Name: Fallstudie Abwehr und Resilienz. Guerilla-Aktion des Zentrums fürs politische Schönheit.
  • Datum: November 2020
  • Von: Concept Development and Experimentation (CD&E) „Propaganda Awareness“ / ZOpKomBw / Bundeswehr
  • Download: PDF (18 MB)


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26.09.2023 08:00

Bis heute ist rechtlich ungeklärt, ob das Zwei-Sekunden-Sample eines Musikstücks als Nachahmung gilt oder nicht. Nun könnte das von der Band Kraftwerk losgetretene Endlosverfahren endlich sicherstellen, dass sich solche Schnipsel legal verwenden lassen.

Eine Metall-Skulptur des Künstlers Carlos de Oliveira Correia blickt auf der Aussichtsplattform am Strand von Olhos des Augua bei Sonnenaufgang auf den Atlantik hinaus.
Am Horizont zeichnet sich langsam eine Klärung im Urheberrechtsstreit zwischen der Musikgruppe Kraftwerk und dem Musikproduzenten Moses Pelham ab. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / imagebroker

Dieser Beitrag erschien zunächst im Englischen Original bei Communia Association unter der CC-0-Lizenz. Übersetzung und leichte Anpassung stammen von DeepL und Tomas Rudl.

Mitte September hat das höchste deutsche Gericht, der Bundesgerichtshof (BGH), dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum zweiten Mal in weniger als zehn Jahren Fragen im Zusammenhang mit dem Fall Metall auf Metall vorgelegt. Diesmal bittet der BGH den EuGH, das Konzept von „Pastiche“ zu erläutern, damit er feststellen kann, ob die Verwendung eines 2-Sekunden-Samples von Kraftwerks Lied Metall auf Metall aus dem Jahr 1977 in Sabrina Setlurs Lied Nur Mir aus dem Jahr 1997 als offene Nachahmung einzustufen ist.

Die kürzliche Überweisung an den EuGH ist die jüngste Entwicklung in der juristischen Geschichte. Sie begann 1999, als Kraftwerk den Setlur-Produzenten Moses Pelham wegen der unerlaubten Verwendung des Samples verklagte. Mittlerweile befasst sich das höchste deutsche Gericht bereits zum fünften Mal damit. Bei der letzten Überweisung hatte der EuGH festgestellt, dass die Verwendung des Samples nach den deutschen Urheberrechtsregeln vor 2002 rechtmäßig war, aber nach den Regeln nach 2002 (mit denen die Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft von 2001 umgesetzt wurde) eine Rechtsverletzung darstellte. Diese Schlussfolgerung beruhte im Wesentlichen darauf, dass nach der Verabschiedung der Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft (InfoSoc) von 2001 das Konzept der „Freien Benutzung“ im deutschen Urheberrecht gegen EU-Recht verstößt.

Die neue Überweisung ergibt sich daraus, dass Deutschland im Rahmen der Urheberrechtsnovelle 2021 zur Anpassung des deutschen Urheberrechts an die EU-Richtlinien die freie Benutzung gestrichen und gleichzeitig eine neue Ausnahme für Karikatur, Parodie und Pastiche (§ 51a UrhG) eingeführt hatte. Das Oberlandesgericht Hamburg, an das der BGH den Fall zur endgültigen Klärung zurückverwiesen hatte, hat daraufhin entschieden, dass die Verwendung des Samples nach Einführung der neuen Schranke im Jahr 2021 tatsächlich wieder rechtmäßig war, da es sich um eine Nutzung zum Zwecke des Pastiche handelte.

Gegen diese Entscheidung hat Kraftwerk Revision eingelegt, so dass der Fall erneut vor dem BGH verhandelt wurde. Im Rahmen dieser Revision hat der BGH den EuGH nun erneut um Stellungnahme gebeten, diesmal zur Bedeutung des Begriffs „Pastiche“ in Artikel 5(3)(k) der InfoSoc-Richtlinie von 2001. Daraus leitet sich die deutsche Ausnahmeregelung ab. Das bedeutet, dass die Entscheidung des EuGH in dieser Rechtssache dieses Mal viel weitreichendere Auswirkungen als nur auf das deutsche Urheberrecht haben wird. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es die EU-Rechtsregelung für das Sampling bestimmen wird.

Die Vorlage an den BGH enthält zwei separate Fragen, die in der Pressemitteilung des Gerichts beschrieben werden (der Text der eigentlichen Entscheidung, die die Fragen enthält, muss vom BGH noch veröffentlicht werden). Laut der Pressemitteilung …

… stellt sich zunächst die Frage, ob die Schrankenregelung der Nutzung zum Zwecke von Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG ein Auffangtatbestand jedenfalls für eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem vorbestehenden Werk oder sonstigen Bezugsgegenstand einschließlich des Sampling ist und ob für den Begriff des Pastiches einschränkende Kriterien wie das Erfordernis von Humor, Stilnachahmung oder Hommage gelten.

Dass die Nutzung zum Zweck der Nachahmung als eine Art letzte Ausnahme zum Schutz der Kunstfreiheit dient, ist zu begrüßen. Denn das würde die Freiheit des Schaffens auf EU-Ebene schützen, wie wir in unserem Empfehlungspapier Nr. 7 nahelegen. Da die Pastiche-Ausnahme in der EU bereits obligatorisch ist, würde eine positive Antwort des EuGH auf den ersten Teil dieser Frage einen harmonisierten Schutz der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks auf EU-Ebene gewährleisten.

Der EuGH vertritt seit einiger Zeit die Auffassung, dass die in der EU-Grundrechtecharta verankerten Grundsätze bereits vollständig im EU-Urheberrecht verankert sind, insbesondere durch die bestehende Liste der EU-Ausnahmen. Wie wir in unserem Policy Paper Nr. 14 über Grundrechte als Schranke für das Urheberrecht in Notfällen festgestellt haben, ist dies nicht unbedingt der Fall, da die bestehenden Ausnahmen offenbar nicht alle von der Charta vorgeschriebenen Grundrechtserwägungen ausgeschöpft haben und andererseits noch nicht alle dieser Abwägungsmechanismen in den nationalen Gesetzen der EU-Mitgliedstaaten voll zum Tragen gekommen sind.

Mit dieser Vorlage kann das Gericht jedoch prüfen, ob das EU-Urheberrechtsgesetz die Kunstfreiheit ausreichend berücksichtigt. Unserer Ansicht nach sollte eine Auslegung der Pastiche-Ausnahme im Lichte dieser Grundfreiheit dazu führen, dass der Gerichtshof einen breiten Anwendungsbereich vorsieht, der alle durch die Charta geschützten Formen der künstlerischen Bearbeitung abdeckt.

In der Pressemitteilung äußert der BGH ein sehr ähnliches Anliegen und verweist auf den inhärenten Konflikt zwischen dem starren EU-Urheberrechtssystem und der Freiheit des (künstlerischen) Ausdrucks:

Die Pastiche-Schranke könnte als allgemeine Schranke für die Kunstfreiheit zu verstehen sein, die deshalb notwendig ist, weil der Kunstfreiheit allein durch die immanente Begrenzung des Schutzbereichs der Verwertungsrechte auf eine Nutzung der Werke und Leistungen in wiedererkennbarer Form (vgl. EuGH, GRUR 2019, 929 [juris Rn. 31] – Pelham u.a.) und die übrigen Schrankenregelungen wie insbesondere Parodie, Karikatur und Zitat nicht in allen Fällen der gebotene Raum gegeben werden kann.

Dieses Verständnis der Pastiche-Ausnahme würde auch mit der Absicht des deutschen Gesetzgebers bei ihrer Einführung im Jahr 2021 übereinstimmen. In seiner für die Gesellschaft für Freiheitsrechte durchgeführten Studie zur Pastiche-Schranke aus dem Jahr 2022 stellt Till Kreutzer fest:

Der deutsche Gesetzgeber hat den Pastiche-Begriff bewusst offen formuliert. Er gibt in den Gesetzesmaterialien deutlich zu verstehen, dass § 51a UrhG einen weiten und dynamischen Anwendungsbereich haben soll. Die Pastiche-Schranke dient dazu, übliche Kultur- und Kommunikationspraktiken im Netz zu legitimieren, v. a. User-Generated-Content und die Kommunikation in sozialen Netzwerken. Sie soll u. a. auf Remixes, Memes, GIFs, Mashups, Fan Art, Fan Fiction und Sampling angewendet werden.

Im Rahmen dieser Studie schlägt Kreutzer die folgende „urheberrechtsspezifische Definition“ von Pastiche vor und kommt zu dem Schluss, dass der Begriff die Praxis des Samplings umfasst:

Ein Pastiche ist ein eigenständiges kulturelles und/oder kommunikatives Artefakt, das sich an die eigenschöpferischen Elemente veröffentlichter Werke Dritter anlehnt und sie erkennbar übernimmt.

Es wird interessant sein zu sehen, wie der EuGH die gleiche Aufgabe angehen wird. In diesem Zusammenhang ist die zweite vom BGH formulierte Frage etwas beunruhigender. Hier will der BGH wissen …

… ob die Nutzung „zum Zwecke“ eines Pastiches im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG die Feststellung einer Absicht des Nutzers erfordert, einen urheberrechtlichen Schutzgegenstand zum Zwecke eines Pastiches zu nutzen oder ob die Erkennbarkeit des Charakters als Pastiche für denjenigen genügt, dem der in Bezug genommene urheberrechtliche Schutzgegenstand bekannt ist und der das für die Wahrnehmung des Pastiches erforderliche intellektuelle Verständnis besitzt.

Im Fall von Metall auf Metall ergibt diese Frage nicht viel Sinn. Im Jahr 1997, als „Nur Mir“ aufgenommen wurde, gab es den Begriff des Pastiche im deutschen Urheberrecht noch nicht (und auch nicht die InfoSoc-Richtlinie, mit der der Begriff auf EU-Ebene eingeführt wurde). Dies macht es so gut wie unmöglich, dass die Plattenproduzenten die Absicht hatten, den Ausschnitt aus Metall von Metall zum Zweck des Pastiche zu verwenden – ein Zweck, der laut BGH selbst noch vom EuGH definiert werden muss.

Schon wegen der Rechtssicherheit sollte der EuGH eine Absichtserfordernis ablehnen und jede Definition allein auf die Merkmale der Benutzung stützen, wie in der Definition von Kreutzer vorgeschlagen.

In jedem Fall ist die neue BGH-Überweisung an den EuGH eine sehr willkommene Entwicklung in der Metall-auf-Metall-Saga. Sie bietet dem EuGH die dringend benötigte Gelegenheit, diesen wichtigen Begriff zu klären, der in den jüngsten Diskussionen über Artikel 17 der Urheberrechts-Richtlinie eine große Rolle gespielt hat. Um eine Mehrheit für die Richtlinie zu finden, hat der EU-Gesetzgeber die Pastiche-Ausnahme zwingend vorgeschrieben, um die umgestaltende Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke auf Plattformen für nutzergenerierte Inhalte zu schützen.

Es wäre nur passend, dass das letzte Vermächtnis von Kraftwerks engstirnigem Versuch, das Urheberrecht als Waffe einzusetzen, um den kreativen Ausdruck einer nachfolgenden Generation von Künstlern einzuschränken, fast drei Jahrzehnte später zu einer breit angelegten Konzeptualisierung von Pastiche als Schutz des künstlerischen Ausdrucks in der gesamten EU führen würde.


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25.09.2023 17:35

Mehrere Parteien und Kommunen planen Chipkarten für Asylsuchende. Mit den Bezahlsystemen können Aufenthaltsbeschränkungen durchgesetzt und Einkäufe eingeschränkt werden. Flüchtlingsorganisationen kritisieren die massiven Einschnitte in die Selbstbestimmung.

Eine Beazhlkarte wird an ein EC-Kartenlesegerät auf einem Tisch gehalten.
Immer mehr Politiker*innen fordern Bezahlkarten statt Bargeld für Geflüchtete. Das kritisieren Organisationen der Geflüchtetenhilfe vehement. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bihlmayerfotografie

Gleich zwei Vorschläge ließen die Bundespolitik in der vorvergangenen Woche aufhorchen. Zuerst preschte CSU-Chef Markus Söder vor und kündigte eine Chipkarte für abgelehnte Asylbewerber*innen an. Wenig später forderte auch die FDP eine bundeseinheitliche Bezahlkarte für Schutzsuchende. Vieles an den Vorschlägen bleibt noch vage, doch klar ist: Es geht um Abschreckung – und Kontrolle.

Bürokratie und Abschreckung

Bereits im Sommer wurde über das Thema Kartenauszahlung diskutiert. Ein Grund: Bürokratie. Viele Kommunen zahlen das sogenannte Taschengeld an Asylsuchende direkt aus, entweder in Form von Bargeld oder sogenannten Verpflichtungsscheinen. So begründet unter anderem Hannover die Einführung einer Socialcard, mit der sie „einen diskriminierungsfreien Zugang zur bargeldlosen Zahlung“ schaffen will.

Der Vorschläge von FDP und CSU schlagen hingegen rhetorisch in eine andere Kerbe. Mit einer Chipkarte sollen Überweisungen in Heimatländer verhindert werden. Im FDP-Beschluss heißt es dazu: „Damit schwächen wir einen entscheidenden Pull-Faktor.“ Als Pull-Faktoren werden positive Anreize bezeichnet, in ein bestimmtes Land zu kommen. Pull-Faktoren zu reduzieren, ist eine euphemistische Umschreibung für Abschreckung. Ob das wirklich funktioniert, ist wissenschaftlich mindestens umstritten.

Laut dem bayerischen Spitzenkandidaten Martin Hagen vereine eine Bezahlkarte die „Vorteile von Bargeld mit den Vorteilen von Sachleistungen“. Dies sei eine „pragmatische Lösung“.

Konzerne profitieren, Kommunen zahlen

Dem widersprechen Organisationen der Flüchtlingshilfe. Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl, erinnert an die 1990er Jahre. Bereits dort habe es von Chipkarten über Papiergutscheine bis zu Lebensmittelkartons verschiedene Formen von Bezahlsystemen und Sachleistungen für Geflüchtete gegeben. „Profitiert haben davon mitnichten die Kommunen, sondern vor allem private Konzerne, die für die Bereitstellung und Abwicklung des Systems hohe Summen von den Kommunen oder Ländern kassierten.“ Kommunen hätten jedoch einen deutlich höheren Aufwand gehabt als für die Auszahlung von Bargeld.

Details zu geplanten Funktionen der Karte nennt die FDP nicht, auch nicht auf Nachfrage unserer Redaktion. Erst im August hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag eine bundeseinheitliche Bezahlkarte noch abgelehnt. „Das ist auch richtig so, denn so können die Kommunen selbst entscheiden, was für sie die praktikabelste und pragmatischste Lösung ist“, sagte Stephan Thomae gegenüber der WELT (Paywall). Nun im Vorfeld der Landtagswahlen in Bayern und Hessen ändert sich offenbar der Kurs.

Beschränkung statt Selbstbestimmung

Zu möglichen Funktionen einer „digitalen Flüchtlingskarte“ ist man im CSU-geführten Bayern schon weiter. Markus Söder hat öffentlich bereits angekündigt, dass etwa abgelehnte Asylbewerber*innen keinen Alkohol kaufen können sollen. Welche anderen Produkte noch auf der Verbotsliste stehen, beantwortet die bayerische Staatsregierung nicht. Der Umfang dieser Einschränkungen werde noch geprüft. In Hamburg soll laut Ausschreibung etwa Glückspiel unter Umständen von der Karte ausgeschlossen werden.

Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht hier von einem „massiven Einschnitt in das Recht auf Selbstbestimmung“. Der Staat mische sich hier auf eine Art und Weise in den persönlichen Bereich von Menschen ein, die ihm nicht obliegt und grundrechtlich mehr als diskutabel ist.

Schon der Ausschluss von Bargeld greift in die Freiheit von Geflüchteten ein. „Bargeld spielt in Deutschland im Alltag eine wahnsinnig große Rolle. Wenn mit der Chipkarte keine Bargeldabhebungen möglich sind, haben Geflüchtete nicht mehr die Möglichkeit, Geldgeschäfte des täglichen Lebens zu tätigen“, teilt der Flüchtlingsrat mit. Betroffen wären etwa Flohmärkte, Gemeindefeste oder der Pausenverkauf in der Schule. Für solche Geschäfte, räumt auch das bayerische Innenministerium ein, „wird es wohl erforderlich sein, dass ein geringer Betrag auch abgehoben werden kann.“

Geofencing und Zahlungsdaten

Zudem soll die bayerische Bezahlkarte „nur in dem nach Asylgesetz oder Aufenthaltsgesetz zulässigen Aufenthaltsbereich einsetzbar sein“, wie das bayerische Innenministerium erklärt. Hierbei spricht man von „Geofencing“, also der automatischen Kontrolle des Aufenthalts. Für Kothen von Pro Asyl sind die Aufenthaltsbeschränkungen an sich das Problem: „Die strikte Zuweisung des Wohnorts für Geflüchtete verhindert, dass sie ihre Selbsthilfekräfte aktivieren, etwa bei Freund*innen oder ihrer Familie privat unterkommen können oder dorthin umziehen, wo es die passende Fachärztin oder eine Arbeitsstelle gibt.“ Auch Reisebeschränkungen seien ein Problem, weil so der Besuch bei Freund*innen oder einer weiter entfernten Therapieeinrichtung erschwert würde.

Biometrische Daten sollen mit der Karte nicht gespeichert werden, so das bayerische Staatsministerium. Die Zahlungsdaten sollen anonym zur „statistischen Auswertbarkeit des Einsatzes“ ausgewertet werden können. „Zudem soll feststellbar sein, welche Karten in einem bestimmbaren Zeitraum gar nicht eingesetzt worden sind und ob gegebenenfalls der Verdacht auf einen Missbrauchsversuch besteht.“

Flüchtlingsorganisationen kritisieren Karte grundsätzlich

Der bayerische Flüchtlingsrat ist grundsätzlich gegen solche Sondersysteme: „Neben individuellen Wahlkampfinteressen stellt für uns die Idee der bargeldlosen Chipkarte einen weiteren Versuch da, schutzsuchenden Personen das Leben in Deutschland noch unbequemer zu gestalten. Diese Chipkarte ist vollkommen realitätsfern und mehr als integrationsfeindlich.“

Für Kothen von Pro Asyl stellen Sonderkarten für Geflüchtete eine sichtbare Diskriminierung an der Supermarktkasse dar. Zudem sei bei den Vorschlägen noch unklar, wer die Karten akzeptiere. Geschäfte aller Art müssten erst auf das neue System umgestellt werden. „Es ist fraglich, ob solch ein neues System tatsächlich eine Verbesserung für Geflüchtete und Behörden bringt oder nicht vielmehr zu neuen Problemen führt“, sagt Kothen. Sie fordert: „Die Chipkarte, die geflüchteten Menschen am besten ermöglicht, ein menschenwürdiges Leben zu führen und sich gesellschaftlich einzubringen, ist die Karte für ein Girokonto. Diese ist diskriminierungsfrei und letztlich auch für die Kommunen die einfachste und günstigste Lösung.“ Rechtlich haben die Schutzsuchenden Anspruch auf ein sogenanntes Basis-Konto. In der Praxis macht die Eröffnung jedoch immer wieder Probleme.

Wann kommen die Karten?

Trotz der vollmundigen Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten könnte es noch dauern, bis die ersten Bezahlkarten in Bayern kommen. Es fehlt nach wie vor an einer Ausschreibung. Diese soll laut bayerischem Innenministerium „bald“ starten. In Hamburg ist die „Socialcard“ schon ausgeschrieben, hier soll das Projekt ab dem 1. Januar 2024 starten. Die Stadt Hannover teilt mit, dass man sich momentan noch in der Abstimmungsphase befinde.

Von Unternehmensseite hatte in der Vergangenheit unter anderem Wirecard für digitale Flüchtlingskarten lobbyiert, wie das Neo Magazin Royale gemeinsam mit FragDenStaat aufgedeckt hatte. Im bayerischen Landkreis Erding hatte der Finanzdienstleister bereits eine Karte betrieben. Der sogenannte „Kommunalpass“ war politisch bis in die CSU hinein umstritten. Mittlerweile ist Wirecard insolvent, der Kommunalpass damit Geschichte – und die CSU setzt voll auf die digitale Kontrolle und Abschreckung mittels Bezahlkarten.


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